Bischof Dr. Franz-Josef Overbeck vollendet sein 50. Lebensjahr

"Ich habe mich immer gut geführt gewusst"

Heute am Fronleichnamsfest vollendet der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck sein 50. Lebensjahr. Im Interview spricht Bischof Overbeck über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über Persönliches genauso wie über die Kirche.
 

Bischof Overbeck (dpa)
Bischof Overbeck / ( dpa )

Denken Sie darüber nach, dass Sie jetzt 50 werden?

Bischof Overbeck: Nein,  nicht in einem besonderen Maße, weil ich schon so viele Erlebnisse und auch Erfahrungen in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren hatte, die so einschneidend waren, dass für mich dieser Geburtstag biographisch jetzt nicht von großer Bedeutung ist. Gleichwohl spielt sich das Leben immer in Ringen ab, wie der Dichter Rilke mal gesagt hat. Dazu gehört der Rhythmus von sieben und von zehn Jahren. Diese Erfahrung mache ich auch.

Ich merke natürlich auch, dass ich jetzt schon in die Generation der jungen Großeltern komme, dass ich mit Blick auf die vielen Entwicklungen der letzten Jahre – vor allem in der Kommunikation - so etwas wie ein Analphabet bin, der das Lesen und Schreiben in einer neuen, digitalen Welt lernen musste. Das wurde mir ja nicht in die Wiege gelegt. Und mir ist sehr klar, dass es hier nicht nur um Technik geht, sondern auch um Fragen des Denkens, des Fühlens, der Wahrnehmung der Welt, auch des Glaubens und des Lebens mit der Kirche.

Aber Sie schrecken vor der neuen Welt ja nicht zurück?

Bischof Overbeck: Ach, überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich freue mich auf das, was kommt.

Wie fit fühlt man sich mit kurz vor 50?   

Bischof Overbeck:  Ich war ja mal schwer krank, auf den Tod, ich hatte mit 38 Jahren Krebs. Und ich säße nicht hier, wenn ich nicht ganz munter und fit wäre, weil ich dann nicht „Ja“ gesagt hätte zu dieser Berufung. Mir geht es richtig gut, körperlich, seelisch und geistig.

Ist nach so einer Krankheit alles anders?

Bischof Overbeck: Wenn einer wie ich das Sterben so vor Augen hatte, verändert das einen doch sehr. Da ist der Umgang mit dem Leben nicht mehr unbeschwert. Das ist nicht leicht. Aber man macht auch die Erfahrung der absoluten Relativität des Irdischen und des realen Vorbereiten-Müssens auf das Sterben, das ja zum Leben gehört.

Hat der Glaube Ihnen durch diese schwere Zeit geholfen?

Bischof Overbeck: Ja, in verschiedener Weise. Aber vor allem dadurch, dass andere für mich gebetet haben. Es ist ein Weg der Prüfung. Die Leiden, die daraus erwachsen, sind auch Lehren für das Leben und den Glauben. Da ist mir viel über die Gegenwart Gottes, aber auch über die nicht gefühlte, nicht wahrgenommene Gegenwart Gottes deutlich geworden.

Kann man sagen, dass Sie gestärkt aus dieser Zeit hervorgegangen sind?

Bischof Overbeck: Ja, sehr sogar, mit viel Gewinn für mein Bischofsamt. Ich muss ja die Kirche mitleiten in einer Zeit, in der vieles einfach stirbt. Und viele wollen das ja nicht und fürchten sich, was ich menschlich verstehen kann. Ich habe aber durch diese biographische Erfahrung gelernt und bin dafür sehr dankbar. Durch das Sterben geht halt auch viel Neues wieder auf. Und ich habe vor nichts und niemandem Angst. Davor fürchten sich wiederum einige.

Wenn Sie auf die 50 Jahre zurückschauen, gibt es dann Wehmut?

Bischof Overbeck: Nein, eher eine gute Form von wachsamer Dankbarkeit. Und von daher gehe ich mit dem Vergangenen versöhnt um. Noch einmal jünger sein? Nein, das habe ich nicht eine Sekunde meines Lebens gewollt.

Was hat Sie besonders geprägt?

Bischof Overbeck: Geprägt hat mich neben den biographischen Ereignissen auch meine Herkunft. Ich stamme aus einer alten katholischen Familie, die sich über 800 Jahre zurückverfolgen lässt. Tradition und Geschichte sind für mich etwas Selbstverständliches. Katholisch war für mich immer schon etwas ganz Lebendiges, sich Veränderndes und zugleich kreativ Neues, gleichzeitig sehr Beständiges.

Die Landschaft meiner Heimat, diese Mischung aus Münsterland und Ruhrgebiet, aus Unternehmertum und den sich entwickelnden Arbeitswelten mit all ihren Ungewissheiten und kurzfristigen Identitätsfindungen, gehört auch zu dem, von dem ich sagen kann: Es war einschneidend und prägend für mein Leben. Und natürlich gehören auf jeden Fall meine Studienzeit in Rom und das Erleben von Weltkirche dazu.

Hätten Sie gerne auf etwas verzichtet?

Bischof Overbeck: Nein, ich kann das nicht sagen. So manches, was ich erlebt habe, hätte ich mir nicht ausgesucht. Für mich ist es Glück und Gnade. Es war alles gut so. Ich hadere nicht. Ich bin ein Mann der Gegenwart und schaue nicht rückwärts. Ich liebe die Zeit, in der ich jetzt lebe.

Und wenn es doch so etwas wie eine Zeitmaschine gäbe…, wohin würden Sie reisen?

Bischof Overbeck: Als Bischof bin ich Nachfolger der Apostel. Manchmal, auch bei dem alltäglichen Drumherum, denke ich: Ach, es wäre jetzt schön, mit Jesus und den Aposteln am See Genezareth zu sitzen. Und dann gibt es in der Geschichte Menschen, die ich innerlich immer wieder besuche, indem ich ihre Schriften lese, über sie nachdenke und mich inspirieren lasse. Gerne würde ich zum Beispiel den griechischen Philosophen Platon kennen gelernt haben – wegen seiner Bedeutung für die Geschichte des Christentums. Auch mit Winston Churchill würde ich gerne mal sprechen. Er stammt aus einer alten englischen Adelsfamilie, war sehr gebildet und ein Liebhaber der Literatur. Ich habe von seiner englischen Sprache und seiner Betrachtung und Darstellung der Geschichte der 30er und 40er Jahre und auch von seinem Mut, den ich sehr achte, viel gelernt.

Aber in mancherlei Hinsicht taugt er nicht als Vorbild. Er hat ja den Satz geprägt: No sports.

Bischof Overbeck: Ja, richtig! Das würde mir nie in den Sinn kommen. Ich bin ein Morgenmensch und beginne den Tag mit dem Beten. Aber ich jogge auch regelmäßig, das brauche ich für mein Leben. Churchill hat ja Ewigkeiten im Bett und in der Badewanne gelegen, hat geraucht und unendlich viel gegessen.

Gibt es etwas, was Sie im Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre mit Stolz erfüllt?

Bischof Overbeck: Dass die Kirche fähig ist, sich zu wandeln. Und dass sie gleichzeitig eine so untrügliche Nase dafür hat, an was sie festhalten muss. Das zeugt von der lebendigen Geschichte des Volkes Gottes als glaubender Gemeinschaft mit allen, die dazugehören – von den Aposteln bis zu uns heute. Stolz würde ich das aber nicht nennen. Es ist eine Mischung aus dem Gefühl dankbar und inspiriert zu sein. Aber stolz bin ich auf die vielen, die hier im Bistum Kirche leben und gestalten.

Gibt es etwas, was sie anders machen würden? 

Bischof Overbeck: Ich habe mich in meinem Leben immer gut geführt gewusst. Trotzdem gilt das einfache Wort: Der Mensch wird des Weges geführt, den er wählt. Es ist für mich als Christ immer eine Spannung: zum einen durch Gott geführt zu werden, zum anderen die Wahl zu haben, die der Freiheit meiner eigenen Verantwortung übergeben ist. Grundsätzlich würde ich die Frage verneinen. In Alltagsentscheidungen ist das natürlich manchmal ein bisschen anders. Manchmal stellen sich beispielsweise Umstände anders dar als zu dem Zeitpunkt, an dem etwas entschieden werden musste. Als Bischof muss ich Stellung beziehen – auch unter Zeitdruck.

Wie gehen Sie in die nächsten (50) Jahre?

Bischof Overbeck: Mit gläubiger Zuversicht. Ohne Angst und auch mit viel Freude, viel mitgestalten zu können. Aber ich habe auch die Nüchternheit, es nicht in zu großen Schritten zu tun, in fünf- bis zehn-Jahres-Rhythmen. Dann wird sich zeigen, was kommt.

Woraus schöpfen Sie die Hoffnung, dass man die Gläubigen zusammenhalten kann?

Bischof Overbeck: Viele Menschen haben eine unstillbare Sehnsucht nach etwas, das größer ist als wir. Ihnen mit der Botschaft des Evangeliums zu begegnen, ist eine große Chance, die wir als Kirche haben und die ich wahrnehmen will. Und gleichzeitig erlebe ich hier im Ruhrgebiet einen wachsenden Willen zur Dynamisierung, den ich positiv unterstützen möchte, der auch der Kirche zugutekommt. Wir können aufgrund unserer Tradition und der Themen, die zu uns gehören, aus einem riesigen Fundus an Perspektiven und Antwortmöglichkeiten schöpfen, die für das Leben anderer hilfreich sind. Es wird immer Christen geben, die sich versammeln werden, um miteinander zu leben, zu glauben, zu beten, sich um alte, kranke und sonstige Menschen in Not zu kümmern, aber auch um den Glauben zu verkünden, Katechese, Studium und Bildung zu betreiben. Dass die Veränderungsprozesse noch radikal-soziale Einschnitte nach sich ziehen werden, weiß ich. Das ist eine Herausforderung.

Ist überhaupt noch Platz für die Kirche?

Bischof Overbeck: Es scheint manchmal so zu sein, als habe sich Gott zurückgezogen, als habe er sich unsichtbar gemacht. Ich glaube, es ist eher umgekehrt. Es ist so, dass wir in eine neue „Sehschule“ für die Präsenz Gottes gehen und uns von alten Gewohnheiten verabschieden müssen. Wenn man einen Menschen immer mit denselben Augen anschaut, wird man auch nichts Neues an ihm entdecken. So ist das auch mit Gott.

Was würden Sie sich wünschen für die Kirche in den nächsten 50 Jahren?

Bischof Overbeck: Den Mut zu ganz viel Innerlichkeit, denn ohne das Fundament der inneren Bezogenheit auf Gott, die sich im Willen zum stillen Gebet zeigt, wird es nicht gehen. Und gleichzeitig ganz viel Nähe zu den Menschen in ihren unendlichen Problemlagen und komplizierten Lebensumständen, für die wir im sittlichen Sinne momentan wenig Antworten haben. Ich wünsche der Kirche auf jeden Fall einen tiefen Sinn dafür, sich nie abgekoppelt von der Gemeinschaft der Weltkirche zu verstehen.

Wie werden Sie denn Ihren Geburtstag feiern?

Overbeck: Ich kann als Bischof nicht sagen: Ich bin dann mal weg. Das wird mir nicht in den Sinn kommen. Zunächst einmal feiern wir das Fronleichnamsfest mit einer Heiligen Messe auf dem Burgplatz und der anschließenden Fronleichnamsprozession durch die Essener City. Anschließend gibt es Gelegenheit zur Begegnung und zum gemeinsamen Gespräch. Das nächste offizielle Fest gibt’s ja auch schon bald: Im Oktober feiere ich mein 25-jähriges Priesterjubiläum. (jul/Bistum Essen)


Bischof Overbeck bei der Katechese in Rio (KNA)
Bischof Overbeck bei der Katechese in Rio / ( KNA )