DOMRADIO.DE: Wie sieht es aktuell bei Ihnen in der Klinik aus?
Dr. Rainer Löb (Bundesarzt der Malteser und Chefarzt an der Sankt Barbara Klinik Hamm): Ziemlich voll, zumindest was Covid-19-Patienten betrifft. Es ist so, dass wir zwar noch die Kapazitäten haben, um Menschen zu versorgen, aber dass wir tatsächlich so langsam an den Rand unserer Möglichkeiten kommen. Die Pflegekräfte und die Ärzte, gerade auf der Intensivstation, aber auch auf der Normalstation mit erkrankten Patienten, sind schon langsam am Limit.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das für die Ärzte, die Schwestern, die Pfleger und für uns alle?
Löb: Das bedeutet letztlich, dass wir versuchen müssen, die Infektionszahlen im Land wirklich wieder herunter zu bekommen. Wir sind jetzt in einer Situation, die deutlich dramatischer ist, als wir sie im März und April erlebt haben. Wir haben wesentlich mehr Patienten in den Krankenhäusern, sowohl auf den Normalstationen als auch auf der Intensivstation.
Das bringt uns einfach deshalb ans Limit, weil wir darüber hinaus natürlich auch Kolleginnen und Kollegen aus unserem Krankenhaus haben, die Kontaktpersonen waren und die in Quarantäne sind. Dann gibt es die üblichen Krankheiten, wenn auch nicht so viele Infektionskrankheiten dieses Jahr, sodass wir insgesamt personell schwächer aufgestellt sind, als wir das je waren. Auf der anderen Seite haben wir mehr Patienten, die deutlich größeren Aufwand bedeuten.
DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund den neuen harten Lockdown?
Löb: Ich glaube, es ist unumgänglich gewesen. Wir haben uns in den Kliniken eigentlich immer schon gefragt, wann es denn so weit sein wird. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob Friseure oder ob der eine Laden oder andere Laden wirklich geschlossen sein müsste. Aber letztlich geht es darum, dass wir unsere Kontakte so weit wie möglich reduzieren.
Das ist sicherlich wichtig, dass wir da noch mal einen Weckruf auch ins Land herausbringen, um zu sagen, es läuft immer noch diese Infektion, sie wird uns noch eine ganze Weile begleiten. Wir sind im Herbst und Winter empfänglicher für Infektionen, auch für diese Erkrankung. Insofern geht es wirklich nur mit einer radikalen Reduktion aller Kontakte.
DOMRADIO.DE: Was schwierig ist, wenn man selber, wie Sie, im Krankenhaus arbeitet.
Löb: Absolut. Wobei wir im Krankenhaus natürlich viel mit Schutzkleidung laufen. Wir laufen nur noch mit Masken durch die Gegend. Wir erkennen uns eigentlich immer an den hoffentlich noch fröhlich lächelnden Augen, trotz der ganzen Belastung. Was ich ganz großartig finde bei allen in der Klinik, bei uns, aber auch in den anderen Kliniken, von denen ich höre, obwohl die Teams ausgedünnt sind, obwohl die Belastung extrem hoch ist, auch die psychische Belastung wirklich bei vielen schwerkranken Patienten.
Trotzdem stehen alle zusammen und halten durch und sagen, wir schaffen das und wir müssen die Patienten versorgen. Und nebenher müssen wir ja auch noch andere Notfallpatienten versorgen, die krank werden mit Herzinfarkten, Schlaganfällen, nach Verkehrsunfällen und so weiter. Das verlangt allen extrem viel ab. Und ich bin ganz stolz auf unsere Teams, dass das wirklich so läuft.
DOMRADIO.DE: Rechnen Sie damit, dass die Maßnahmen schnell greifen?
Löb: Es dauert ja immer eine gewisse Zeit. Ich glaube, wir können nicht davon ausgehen, dass wir innerhalb von zehn Tagen, zum Beispiel eben gerade zu Weihnachten, schon wirklich deutliche Senkungen der Infektionszahlen haben. Es wird dann wahrscheinlich, wenn die Maßnahmen wirklich richtig greifen, langsam losgehen.
Ich kann wirklich nur allen raten, ob Weihnachten oder Silvester, halten Sie die Kontakte so eng, so klein wie irgendwie möglich. Halten Sie wirklich durch. Einfach deshalb, weil jeder Kontakt, der enger ist, jedes gemeinsame Feiern am Abend, wo man dann doch irgendwie etwas lockerer wird, dazu führt, dass die Infektionszahlen wieder steigen werden oder nicht ausreichend sinken.
DOMRADIO.DE: Es gibt immer noch Menschen, die die ganzen Maßnahmen übertrieben finden und sehr leichtfertig damit umgehen. Wie reagieren Sie darauf, wenn Sie das sehen?
Löb: Wenn ich das sehe, spreche ich die Menschen an und frage sie, ob es ihnen bewusst ist, was sie da gerade tun. Und zwar als Risiko für sich selbst, aber auch als Risiko für alle diejenigen, mit denen sie in Kontakt sind, zum Beispiel auch für ihre Familien. Das gibt manchmal sehr interessante Gespräche und viel Schlagabtausch.
Aber einige verstehen es auch ganz deutlich. Wenn wir sehen, dass wir nachweisen können, dass wir wirklich Situationen haben, wo Menschen über eine halbe Stunde lang keine Maske getragen haben, sich unterhalten haben, indem eine Rauchergruppe zum Beispiel ganz eng zusammen stand, dass es dann zu Infektionen kommt, dann muss einem wirklich immer wieder bewusst werden, es ist wichtig.
DOMRADIO.DE: Nicht nur im Hinblick auf Weihnachten, sondern auch im Blick auf Silvester gibt es viel Frust bei den Menschen? Diese Menschen sagen, wieso soll ich jetzt nicht böllern? Wieso soll ich keinen Alkohol trinken? Wenn ich Abstand halte, kann ich doch auf der Straße mit einem Gläschen anstoßen?
Löb: Ich kann das total gut verstehen. Was mir natürlich genauso geht, dass ich Weihnachten gerne im Familienkreis mit meinen Eltern und Schwiegereltern feiern möchte. Weil ich Silvester auch gerne raus ginge und mit Menschen feiern würde. Aber auf der anderen Seite ist es ja so, gerade Silvester in größeren Gruppen führt dann noch dazu, dass wir immer mehr Verletzungen in den Krankenhäusern haben. Das können wir uns momentan wirklich überhaupt nicht leisten, weil wir davon ausgehen müssen, dass wir auch Silvester noch viele Covid-Erkrankte zu versorgen haben und die Notfälle, die sowieso kommen.
Das Interview führte Dagmar Peters.