domradio.de: Ihr Wunschkoalitionspartner sind die Grünen. Die haben deutliche Veränderungen auf dem Gebiet von Kirche und Religion vorgesehen. Josef Winkler, der religionspolitische Sprecher der Grünen, hat hier bei uns im domradio gesagt, man wolle bei den Grünen am Selbstverständnis der Kirchen rütteln. Wollen Sie das auch?
Kerstin Griese: Die Kirchen sind für uns ein wichtiger Partner, so heißt es in unserem Regierungsprogramm. Ein wichtiger Partner auf dem Weg zu einer solidarischen Gesellschaft. Das heißt, wir diskutieren mit ihnen selbstverständlich auf Augenhöhe. Wir würdigen besonders das soziale Engagement der Kirchen. Auch das Engagement zum Beispiel für Flüchtlinge. Es gibt sicherlich ein paar Dinge, die reformiert werden müssen, aber wir stellen die Kirchen nicht grundsätzlich in Frage.
domradio.de: Dinge, die reformiert werden müssen, da denken Sie vermutlich an das kirchliche Arbeitsrecht, denn in ihrem Programm steht wörtlich - ich zitiere - "Soweit die Kirchen und ihre Einrichtungen in Caritas und Diakonie Arbeitgeber sind, muss die Grenzen ihres Selbstordnungsrechts von den Grundrechten ihrer Arbeitnehmer her bestimmt werden und nicht umgekehrt." Das heißt doch, dass Sie es doch ein wenig so wie die Grünen sehen?
Griese: Wir haben ja eine Debatte über das kirchliche Arbeitsrecht. Wir haben eine Debatte, ob die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in kirchlichen Betrieben, in kirchlichen Wohlfahrtseinrichtungen genügend Rechte haben, und da bin ich, und da ist auch die SPD sehr wohl der Ansicht, dass sie nicht weniger Rechte haben dürfen, als diejenigen, die Arbeitnehmer im sogenannten zweiten Weg in der tariflichen Auseinandersetzung sind. Da wir diese Debatte aktuell haben, geht es uns auch sehr stark darum, die Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu stärken und zu unterstützen. Es gibt durchaus unterschiedliche Diskussionen in der Katholischen und Evangelischen Kirche. In der Caritas gibt es eine höhere Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem kirchlichen Arbeitsrecht, mit dem dritten Weg. In der Diakonie gibt es eine große Unzufriedenheit.
Deshalb ist natürlich eine sozialdemokratische Position, dass das Streikrecht ein Grundrecht ist, unteilbar. Mein Appell geht an die Kirchen und die Gewerkschaften, sich zu einigen. Wir haben dazu auch einige Vorschläge gemacht, zumal wir meinen, dass gerade die Politik sich noch stärker darum kümmern muss, wie die soziale Arbeit refinanziert wird. Im Grunde geht es ja gerade im Bereich der Pflege, im Bereich der sozialen Arbeit darum, wie kann diese Arbeit anständig gemacht werden, wie können die Menschen, die dort arbeiten, ordentlich bezahlt werden. Diejenigen, die Dienst am Menschen leisten, leisten eine ganz wichtige Arbeit in unserer Gesellschaft. Die ist oft noch zu wenig gewürdigt und zu schlecht bezahlt, und deshalb müssen Kirchen, Gewerkschaften und auch die Politik gemeinsam schauen, was sie dort verändern können.
domradio.de: Jetzt trägt ihr Wahlprogramm den Titel "Regierungsprogramm". Das heißt sie wollen nach der Wahl regieren. Wie geht das dann konkret in puncto Arbeitsrecht?
Griese: Erst mal geht es darum, dass wir am Sonntag viele Menschen zur Wahlurne bringen, dass viele Menschen wählen gehen. Dann hoffen wir auf eine rot-grüne Mehrheit, weil wir gerne eine Koalition zwischen SPD und Grüne eingehen wollen. Das Thema des kirchlichen Arbeitsrechts muss zuerst innerhalb der Kirchen geklärt werden. Es stehen ja auch Prozesse an. Im Herbst wird es auf der Synode der Evangelischen Kirche Debatten geben. Die Kirchen müssen schauen, was sie reformieren, wo sie etwas verändern wollen. Es gibt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes, was ganz klare Hausaufgaben definiert hat, was die Kirchen verändern müssen. Das werden wir uns sehr genau ansehen. Wir achten das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in ihren eigenen Angelegenheiten. Deshalb setzen wir darauf, dass sie diese Reformen auch vornehmen. Wir werden aber natürlich auch darauf achten, dass die Arbeitnehmerrechte geklärt sind und beachtet werden.
domradio.de: Sie selbst sind auch Mitglied der Synode der EKD. Wie sehen Sie das aus Sicht einer Synodalen?
Griese: Ich sitze immer zwischen den Stühlen, weil ich politisch engagiert bin und im kirchlichen Raum sehr verankert bin, und für meine Kirche will, dass sie offensiv dieses Thema angeht. Ich finde, es geht um die Glaubwürdigkeit von Kirche. Sie ist dann glaubwürdig, wenn sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch gut umgeht, wenn sie die soziale Arbeit, die pflegerische Arbeit würdigt. Ich wünsche mir sehr, dass die Evangelische Kirche es schafft, vielleicht auch über das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes hinaus, Reformen vorzunehmen. Das heißt tatsächlich, eine strukturelle Beteiligung der Gewerkschaften in den Mitarbeitervertretungen vorzusehen. Ich wünsche mir auch, dass wir auf das Streikverbot verzichten. Es ist gar nicht das wichtigste Thema, weil das wichtigste Thema eigentlich die Frage der Refinanzierung ist: Wie ist genügend Geld da, um die Leute anständig zu bezahlen. Aber es ist ein symbolträchtiges Thema, und da würde ich mir ein stärkeres aufeinander zugehen wünschen. Gleichzeitig wünsche ich mir aber auch als Gewerkschaftsmitglied, dass besonders die Gewerkschaft ver.di die Zusammenarbeit nicht blockiert, sondern tatsächlich bereit ist, in den Mitarbeitervertretungen mitzuarbeiten. Wir haben ein Beispiel in Niedersachsen, wo sich die Diakonie und Verdi jetzt geeinigt haben. Das halte ich für sehr vorbildlich und das wünsche ich mir auch in anderen Bundesländern.
domradio.de: Wenn man sich die aktuellen Umfragen anschaut, wird es für rot-grün sehr eng. Je nach Ergebnis könnte es vielleicht für rot-rot-grün reichen oder dann eben für eine große Koalition, wenn sie auf die Regierungsbank zurückrücken wollen. Was glauben Sie, wo lassen sich aus kirchenpolitischer Sicht am leichtesten Verhandlungen für die SPD führen, eher mit der CDU oder dann eben in einem rot-rot-grünen Bündnis?
Griese: Da kann man gar keine Priorität setzen. Ich kann auch ein rot-rot-grünes Bündnis eindeutig ausschließen, da wir die Linke als nicht regierungsfähig halten. Man sieht das übrigens auch ganz klar in diesen kirchenpolitischen Debatten. Einfach nur draufzuhauen und zu sagen, alles ist Unsinn, halte ich für keine realpolitische Position. Ich bin aber weiterhin der Ansicht, dass ich natürlich für rot-grün kämpfe und Sie werden auch bis Sonntag nichts anderes von mir hören. Es liegt an den Wählerinnen und Wählern. Ich glaube, eine rot-grüne Mehrheit ist eine, die viel tun kann, was auch Anliegen der Kirchen ist: Für soziale Gerechtigkeit, für gerechte Löhne, für faire Löhne, das ist ein ganz wichtiges Thema, für eine Verbesserung der Pflege. Aber auch gerade in der Flüchtlings- und Asylpolitik, wo ich die Kirchen ja fast als einzige Rufer in der Wüste erlebe, die sich für humane Bedingungen einsetzen. Insofern sollten diejenigen, die sich das wünschen, wofür sich auch die Kirchen engagieren, überlegen, ob sie ihre Stimme bei rot und grün machen.
domradio.de: Sie haben gesagt, die Linke hat eine sehr radikale Position. Sie haben auch bei uns im Interview gesagt, dass sie für eine vollständige Trennung von Staat und Kirche sind. Wo liegt da bei der SPD die Grenze, wie weit wollen und würden sie gehen?
Griese: Wir haben ja in Deutschland eine Trennung von Staat und Kirche. Wir sind ein säkularer Staat, aber wir sind kein laizistischer Staat. Auf den Unterschied lege ich Wert und das finde ich auch richtig, denn das ist bei uns historisch so gewachsen. Es gibt eine Trennung von Staat und Kirche, aber es gibt eben auch ein kooperatives Verhältnis. Denn die Kirchen spielen eine wichtige Rolle in unserem Alltagsleben, in der sozialen Arbeit und für viele Menschen auch ganz persönlich. Deshalb finde ich sowohl die offizielle Haltung der CDU, dass alles in Ordnung ist und alles so bleiben soll wie es ist, als auch die Haltung der Linkspartei, dass alles falsch ist und sich alles ändern muss im Verhältnis zwischen Staat und Kirche, falsch. Ich bin da eher pragmatisch. Ich denke, wir haben eine gute Grundlage, aber es gibt ein paar Bereiche, in denen wir Verbesserungen brauchen, und insofern bin ich immer wieder froh über die Zusammenarbeit von Kirche und Politik.
Viele Menschen, die sich politisch engagieren, tun das ja auch mit einem Wertehintergrund, den sie zum Beispiel in der evangelischen oder katholischen Jugendarbeit erlangt haben. Deshalb glaube ich, dass die eine oder andere Radikalposition uns nicht weiterhilft. Mir geht es sowohl als Sozialdemokratin als auch als evangelische Christin darum, dass Kirche als ein wichtiger Teil der Gesellschaft, der im besten Sinne auch Wertgebundenheit vermittelt, gute Möglichkeiten hat. Aber mir geht es eben auch darum, dass wir ein pluralistischer Staat sind. Auch meine Partei ist pluralistisch, darüber bin ich sehr froh. Ich möchte keine, die sich einseitig auf eine Religion oder eine Kirche festlegt. Deshalb finde ich beide Positionen nicht zeitgemäß im Jahr 2013 und hoffe, dass wir uns mit kritischer Solidarität, mit guter partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Kirchen, aber auch dann und dort, wenn es nötig ist, mit offenen Worten durchsetzen können.
domradio.de: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Matthias Friebe.