Der Präsident des Zentralkomitee der deutschen Katholiken Thomas Sternberg teilt diese Auffassung – in Teilen.
In einer ersten Reaktion auf die neuen Einlassungen des emeritierten Papstes Benedikt XVI. zum Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche stellt auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) für die heutige Zeit eine "Gottvergessenheit" fest.
Sie sei ein großes Problem, "das auch für Teile unserer Kirche gilt", sagte Präsident Thomas Sternberg am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. "Bei allen Reformen geht es aber nicht primär um den Erhalt einer Organisation, sondern darum, den Glauben an Christus wach zu halten."
"Entfernung von der Lebenswirklichkeit"
Zugleich merkte Sternberg kritisch an, dass Benedikt zum Thema Missbrauch in erster Linie "beim Blick zurück im Zorn die alten, lang überwundenen Kämpfe" einfielen. Der "Zusammenbruch der katholischen Morallehre" sei mit dem Verbot der "künstlichen" Empfängnisverhütung 1968 auf ein Datum hin zu markieren.
"Dies war der Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen brachte." Die kirchliche Sexualmoral habe sich seinerzeit so weit von der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt, dass sie keine Akzeptanz mehr gefunden habe.
"Der Grund dafür war nicht die Veränderung der wissenschaftlichen Moraltheologie, sondern eine Hierarchie, die noch glaubte, restriktive Vorschriften für das Leben von längst selbstbestimmten Menschen machen zu können", so Sternberg. "Zum Glück sind die alten Kämpfe nur noch Gegenstand für Historiker."
In Fragen von Sexualität und Partnerschaft habe erst Papst Franziskus mit seinem Schreiben "Amoris laetitia" erste Schritte der "Annäherung an das Lebensgefühl der Christen" gemacht.
"Gottlosigkeit und Entfremdung vom Glauben" seien Ursache von Missbrauch
Der emeritierte Papst ruft in seinem am Donnerstag unter anderem vom privaten katholischen Mediennetzwerk CNA/EWTN veröffentlichten Aufsatz für das Bayerische "Klerusblatt" zu einer "Erneuerung des Glaubens" und zu einer neuen Hinwendung zu Gott auf, um die aktuelle Krise zu überwinden.
Als zentrale Ursache für Missbrauch nennt Benedikt Gottlosigkeit und eine Entfremdung vom Glauben, die sich seit den 1960er Jahren auch in einer Abkehr von der katholischen Sexualmoral breitgemacht habe. Auch in der Theologie, in der Priesterausbildung und in der Auswahl von Bischöfen habe dies fatale Folgen gehabt.
Zu Beginn seines Aufsatzes schreibt Benedikt XVI., dass es zur "Physiognomie der 68er Revolution" gehört habe, dass auch Pädophilie erlaubt sei. In derselben Zeit habe sich ein "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie" ereignet, der auch Teile der Kirche "wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft" gemacht habe.