DOMRADIO.DE: Die katholischen Kirche diskutiert im Moment viel über das Thema Macht. Das bekommen Sie natürlich auch als evangelische Theologin mit, Stichwort "Synodaler Weg". Wie unterscheidet sich denn das Verhältnis der Macht bei den Protestanten zu den Katholiken?
Ellen Ueberschär (Evangelische Theologin, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung): Vorneweg: Ich beobachte sehr intensiv, was mit dem "Synodalen Weg" in der katholischen Kirche passiert. Denn ich glaube, dass die Kirchen nur gemeinsam in die Zukunft gehen werden. Deswegen ist es sehr wichtig zu verstehen, was in der jeweils anderen Kirche passiert.
Was das Thema Macht und Ämter angeht, ist die evangelische Kirche ganz anders aufgestellt. Die Macht geht in der evangelischen Kirche von der Gemeinde aus. Martin Luther hat das mal sehr plastisch und drastisch so ausgedrückt: "Was aus der Taufe gekrochen ist, ist schon Papst, Bischof..." Dann hat man später dafür Strukturen gefunden und sich gefragt, wie man diese Macht, die von der Gemeinde ausgeht, repräsentiert.
Wir bilden in den Evangelischen Kirchen Synoden, was "gemeinsamer Weg" auf Griechisch heißt. Und diese Synoden wählen dann die Ämter. Regelmäßig passiert es in unseren Kirchen auch, dass Bischöfe nicht wiedergewählt werden oder dass es mehrere Kandidaten gibt. Von diesen kann auch jeweils nur eine oder einer gewählt werden.
Der wichtigste Unterschied aber ist sicherlich, was das Thema Machtverteilung gerade mit Blick auf den sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Schwesterkirche angeht: Die evangelische Kirche ordiniert Frauen. Das ist natürlich ein großer Unterschied.
DOMRADIO.DE: Die Bischöfe und Bischöfinnen sind im klassischen Sinne des Wortes dann auch Diener der Gemeinde und nicht die Chefs, die über alles entscheiden?
Ueberschär: So ist es. Die Gesetze und was sonst in der Kirche gilt, wird von den Synoden entschieden. Die Bischöfe sind im Grunde genommen eine Traditionseinrichtung, die man liebgewonnen hat. Übrigens auch nicht in allen Landeskirchen heißen die jeweils leitenden Geistlichen dann auch Bischöfe. Es gibt Kirchenpräsidenten oder Schriftführer, also es gibt dafür ganz verschiedene Bezeichnungen.
DOMRADIO.DE: Menschen in der Kirche sollten nicht Macht anstreben, sollten nicht die Gewalt über andere anstreben, sollten, selbst wenn sie Entscheidungspositionen haben, eher im Kopf behalten, dass sie auch den anderen "dienen" sollen. Das ist auch ein Gegenargument, das gegen die Frauenweihe angebracht wird. Ist das ein Argument, das Ihrer Meinung nach "zieht"?
Ueberschär: Ich würde ein bisschen anders herangehen und fragen: Was ist eigentlich Macht? Wenn ich das Machtverständnis habe, dass Macht bedeutet, dass ich andere meinem Willen unterwerfen beziehungsweise irgendwelche Entscheidungen aufzwingen kann, dann haben wir natürlich genau dieses Herrschafts-Verständnis.
Wenn man aber im Sinne von Hannah Arendt (jüdische politische Theoretikerin und Publizistin; Anm. d. Red.) sagt, Macht ist etwas, was in Kommunikation und Verständigung entsteht, dann ist das etwas anderes. So geschieht es in der Demokratie, wo Menschen einer Idee gemeinsam folgen, weil sie gemeinsam von dieser Idee überzeugt sind. Um diese Idee durchzusetzen, wählen sie eine Vertreterin oder einen Vertreter, die so lange die Interessen vertreten, wie sie das für richtig halten. Auf diese Art und Weise stellt sich Macht her.
Wenn auf der anderen Seite gesagt wird, in der Kirche gebe es ein charismatisches Herrschaftsverständnis, dann arbeitet man nicht unbedingt mit diesem Vertrauen der Gruppe, die einen beauftragt hat. Ich glaube, das ist der Unterschied. Es wäre wichtig zu schauen, mit welchem Verständnis von Macht wir eigentlich vorgehen. Denn Jesus ist genau mit diesem kommunikativen Machtverständnis vorgegangen. Er hat ja den Jüngern nicht seinen Willen aufgezwungen, sondern sie haben ihm vertraut und sind ihm bereitwillig gefolgt. Männer und Frauen übrigens.
DOMRADIO.DE: Was sagt denn die Bibel, wenn es um das Thema "Umgang mit Macht" geht? Einerseits sagen Sie, es geht ums Vertrauen. Jetzt können wir nicht einfach sagen, wir vertrauen uns gegenseitig und heben alle Machtstrukturen auf. Auf der anderen Seite ist ja die Bibel in einem ganz anderen Kontext entstanden, wo es ja auch zum Beispiel noch Sklaverei und Leibeigenschaft gegeben hat.
Ueberschär: Es wäre auch ein Missverständnis zu sagen, Vertrauen sei das Gegenteil von Macht. Vielmehr stellt sich Macht durch dieses Vertrauen her. Ich glaube, das ist eine Angleichung an ein anderes Verständnis von Macht.
Ich glaube, es würde auch der katholischen Kirche sehr gut tun, zu gucken, ob die Menschen eigentlich mitkommen. Es gibt eine Reihe von Erhebungen, die der Vatikan und Papst Franziskus angestoßen haben, die besagen, dass ein Großteil der Kirchenmitglieder den Dogmen überhaupt nicht mehr folgt. Das ist doch ein Problem. Wenn uns die Leute gar nicht vertrauen, was ist dann noch die Verbindung zwischen uns und den Gläubigen?
Die Gläubigen haben immer die Möglichkeit, die Kirche zu verlassen. Das ist auch ein Problem.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.