domradio.de: In der pfälzischen Gemeinde Herxheim am Berg hängt im Turm der evangelischen Kirche eine Glocke, auf der nicht nur ein Hakenkreuz dargestellt ist. Darüber steht auch noch die Inschrift "Alles fuer's Vaterland Adolf Hitler". In Herxheim ist seit Mai ein Streit darüber entbrannt, ob die Glocke runter vom Turm soll oder nicht. Es gibt sie also wirklich, Glocken mit Hakenkreuz und solchen Inschriften?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Das mag zunächst verwundern, wo doch Glocken als meist kirchliche Gebrauchsgegenstände die Überbringer religiöser Botschaften sind. Aber es gab und gibt natürlich immer wieder Strömungen, wo es zu einer gefährlichen Nähe von Kirche und weltlicher Obrigkeit gekommen ist. So auch in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland.
domradio.de: Was für Beispiele gibt es?
Stens: In der wilhelminischen Ära hat der Kaiser einigen Kirchen Glocken gestiftet, deren Inschriften das Kaisertum von Gottes Gnaden lobpreisen. Ein prominentes Beispiel hierfür war die Kaiserglocke des Kölner Domes, die aber bereits im Ersten Weltkrieg wieder eingeschmolzen wurde. Mitten in diesem Krieg wurde für die Dortmunder Reinoldikirche ein großes Geläut gegossen, wo Verse aus Martin Luthers "Ein feste Burg ist unser Gott" ein wenig zweckentfremdet wurden. So trug die Hindenburgglocke die Inschrift "Es streit‘ für uns der rechte Mann" und die Kaiserglocke zierte der Satz "Das Reich muss uns doch bleiben". Das Geläut ging jedoch im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter. Die beschädigte Kaiserglocke steht heute als Mahnmal vor der Kirche.
1928 erhielt der Halberstädter Dom eine große Glocke, auf der ein Relief angebracht war, wie der heilige Georg den Drachen tötet. Und dieser Georg trug die Gesichtszüge des Reichpräsidenten Paul von Hindenburg. Im Archiv des Domes gibt es dazu sogar ein persönliches Dankschreiben des Präsidenten. Auch dieser Glocke war keine lange Existenz beschert. Sie ging ebenfalls im Zweiten Weltkrieg unter.
domradio.de: Wie war es dann im Nationalsozialismus, der ja auch deutliche antikirchliche und antichristliche Züge hatte?
Stens: In der evangelischen Kirche gab es zur Zeit des Nationalsozialismus neben der Bekennenden Kirche, die der nationalsozialistischen Ideologie kritisch gegenüber stand, auch die Deutschen Christen. Gotteshäuser, wo letztere beheimatet waren, schmückten nicht selten Hakenkreuze oder Adolf Hitler als neuen Messias verklärende Inschriften. In Herxheim allerdings wurde besagte Glocke von der Gemeinde als Polizeiglocke im Turm aufgehängt und sollte bei Feueralarm läuten. Sie hatte also ursprünglich weltliche Aufgaben.
domradio.de: Gibt es denn noch weitere Glocken mit Hakenkreuz?
Stens: Die meisten dieser Glocken, die den Nationalsozialismus durch Inschrift und Zier als neue Heilslehre verkündet haben, sind durch den Krieg, den diese Ideologie heraufbeschworen hat, zum größten Teil wieder vernichtet worden. Mir sind neben Herxheim noch drei weitere Beispiele bekannt, von denen zwei auf Kirchtürmen hängen und heute noch ihren Dienst versehen.
domradio.de: Und da stört sich niemand dran?
Stens: Glocken bekommt man ja eher selten zu Gesicht, weil sie meist verborgen im Kirchturm hängen. In Blankenburg am Harz jedoch gab es 2004 Diskussionen, weil dort eine Glocke von 1936, die ein Hakenkreuz trägt, neu aufgehängt werden sollte. Man hat sich dann schließlich darauf geeinigt, dass im Glockenstuhl eine zusätzliche Mahntafel angebracht wird, auf der das Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945 geschrieben steht.
domradio.de: Wie sollte man denn jetzt in Herxheim verfahren?
Stens: Glocken sind nicht nur durch ihre Gestaltung Denkmäler ihrer jeweiligen Entstehungszeit. Vor allem der Klang ist es ja, den wir als Musik auf Originalinstrumenten zu hören bekommen. Daher ist es wichtig, dass auch Klangbilder aus einer Zeit, aus der kaum noch Glocken erhalten sind, bestehen bleiben. Ein Abschleifen des Hakenkreuzes wäre Verdrängung und in meinen Augen keine aufrichtige und ehrliche Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Würde man die Glocke auf dem Kirchplatz als Mahnmal abstellen, wäre sie vermutlich nach kurzer Zeit durch Schmierereien linker oder rechter Gesinnung verunstaltet.
Daher finde ich die Lösung, zu der man in Blankenburg gefunden hat, die richtige. Die Glocke bleibt so, wie sie ist. Aber man bringt eine zusätzliche Tafel an, so dass deutlich wird, wie man heute zu Inschrift und Zier steht. Das wäre ehrliches und aufrichtiges Geschichtsbewusstsein und gilt auch für alle weitere Symbolik anderer Zeiten, die heute problematisch gesehen wird.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.