DOMRADIO.DE: Am 16. August ist es 13 Jahre her, dass der Gründer und bis dato Prior von Taizé, Frère Roger, einem Attentat zum Opfer gefallen ist und gestorben ist. Wie haben Sie diesen Tag und die Tage danach in Erinnerung?
Frère Richard: Es war ein Abendgebet, wie immer. Es waren damals zwei bis dreitausend Jugendliche hier - etwas weniger als in den anderen Wochen - weil der Weltjugendtag gleichzeitig in Köln stattgefunden hat und viele eben dort waren.
Wir haben gesungen und die Psalmen gelesen und dann war auf einmal ein Schrei zu hören. Wir wussten auch gar nicht, was war. Brüder, die neben Frère Roger saßen, haben ihn rausgetragen. Er war da bereits 90 Jahre alt und ich dachte, ihm ist vielleicht schlecht geworden.
Wir haben da gerade "Laudate omnes gentes, laudate dominum" - "Lobt, alle Völker, lobt den Herrn" angestimmt und dann kam die Evangeliums-Lesung. Daran kann ich mich sehr gut erinnern, weil ich sie gelesen habe. Es war die Seligpreisung. Und wer Taizé kennt, der weiß, wie wichtig dieser Text von Anfang an für Frère Roger war. "Lass Dich durchdringen vom Geist der Seligkeit: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit." Und da haben wir diesen Text gelesen und dann, wie gewohnt, die Zeit des Stille erlebt.
Dann kam ein Bruder zurück und hat einem der älteren Brüder gesagt, dass Frère Roger diesem Attentat zum Opfer gefallen ist. Er hat es dann allen durch das Mikrofon gesagt und dazu: "Wir wollen Frieden bewahren." Und das andere, was dieser Bruder zitierte, war der Psalm, dass das Sterben sein Freund ist, kostbar in Gottes Augen. Und er hat gesagt: "Wir wollen dankbar sein für alles, was Frère Roger gewesen ist." Und dann haben wir weiter gesungen und gebetet.
Danach haben die Brüder und die Schwestern sich die Zeit für die Menschen genommen, die einen Schock hatten. Und am nächsten Morgen - nach dem Morgengebet - erinnere ich mich an die Bibel-Einführungen in Gesprächsgruppen. Da gab es eine Gruppe, die über das Kapitel acht vom Römerbrief gesprochen hat, wo es dann heißt: "Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die Christus ist, weder Tod noch Leben".
Die Stimmung war zunächst gedrückt, aber auch schon nach dem zweiten und dritten Tag konnte man wieder über etwas lachen. Frère Roger war in der Kirche aufgebahrt. Viele Menschen kamen hierher. Wir haben unglaublich viele Telegramme, SMS, Briefe, Anrufe von so verschiedenen Leuten bekommen. Das hat uns Brüder sehr bewegt.
Auch in Köln hat Papst Benedikt damals beim Weltjugendtag sehr herzlich über Frère Roger gesprochen und orthodoxe Patriarchen hatb geschrieben, aber auch Kinder aus Bosnien, die als Flüchtlinge hier gewesen waren oder andere Menschen. Das war nochmal eine Bestätigung für uns, was Frère Roger vielen Menschen bedeutet hat.
DOMRADIO.DE: Das ist jetzt 13 Jahre her. Und Sie sagen ja auch gerade, wie wichtig diese Person für diese Bewegung war. Wie gegenwärtig ist das für Sie heute, nach 13 Jahren?
Frère Richard: In meiner Generation, wir haben 30 Jahre oder länger mit ihm zusammengelebt, ist es sehr präsent. Oft sage ich mir: Was würde er jetzt dazu sagen? Es gibt in Taizé viele Ausdrücke, wie in den Gebieten, die auf ihn zurückgehen. Aber dann haben wir einige jüngere Brüder, die haben ihn ja gar nicht gekannt und Jugendliche erst recht nicht.
Und wir wollen ja auch nicht Frère Roger in den Mittelpunkt stellen. Was er selbst auch nicht wollte. Aber wir wollen Gedanken und Intuitionen von ihm bewahren und auch weiterentwickeln. Das war für ihn ganz wichtig. Er hat ja selbst immer wieder Texte neu geschrieben, immer wieder aufbrechen wollen. Und wir sind ihm treu, auch wenn wir immer weitergehen.
DOMRADIO.DE: Sie haben das im Grunde schon ein bisschen angedeutet. Ist in diesen letzten 13 Jahren die Communauté von Taizé auch in Richtungen gegangen, die vielleicht unter ihm noch nicht möglich waren? Gibt es etwas, wo Sie sagen, dieser Orden entwickelt sich natürlich weiter?
Frère Richard: Frère Roger hat ja in früheren Jahren viele Besuche gemacht - auch in ganz armen Gebieten der Welt; in Slums mitgelebt. Mit 80 oder 90 Jahren konnte er das natürlich nicht mehr so machen.
Sein Nachfolger Frère Alois hat das aber direkt wieder aufgenommen. Das war ganz wichtig, diese Universalität weiter zu entwickeln. Das waren auch die letzten Worte von Frère Roger an einen Mitbruder. Er hat einen unfertigen Satz gesagt, in die Richtung: Die Gemeinschaft ermöglicht, etwas zu erweitern. Das haben wir als eine Art Testament verstanden. Das haben wir uns zu Herzen genommen. Es gibt viel mehr Workshops mit verschiedenen Themen als vorher, Freundschaftstreffen zwischen Christen und Muslimen. Das sind Dinge, die einfach weitergegangen sind.
DOMRADIO.DE: Diese Gemeinschaft besteht aus ungefähr 100 Männern aus 25 Ländern. Wie sehen Sie die Zukunft der Gemeinschaft heute?
Frère Richard: Ich möchte nicht zu viel in die Zukunft sehen, sondern im Heute leben. Das ist auch sein Vermächtnis. "Im Heute Gottes leben" war auch ein Buchtitel von Frère Roger. Und es waren auch Worte, die wir leben möchten. Ich wünsche mir, dass wir aufmerksam bleiben auf die Begegnungen, auf die Rufe und Einladungen.
DOMRADIO.DE: Am 16. August ist der Todestag. Wie wird dieser Tag hier vor Ort begangen. Gibt es besondere Rituale und Feierlichkeiten?
Frère Richard: Am 15. August feiern wir auch Mariä Himmelfahrt – oder wie die Orthodoxen sagen: Entschlafung Mariens. Das ist so schön. Frère Roger war Maria auch sehr wichtig. Es war für ihn eine ganz einfache junge Frau, die geglaubt und vertraut hat. Es gibt eine Eucharistiefeier für den 15. und 16. August zusammen. Da kommt meistens ein sehr gut befreundeter Bischof hier aus Frankreich, der jetzt mittlerweile auch emeritiert ist. Und es kommen auch noch ein paar Familienmitglieder von Frère Roger. Wir begehen die Tage ganz einfach und mit dem Geist der Dankbarkeit für alles, was er hier angestoßen hat.
Das Interview führte Stephan Baur.