"Die leben immer noch so, als lebten wir in einem Dorf, in dem sonntagmorgens, wenn die Glocken läuten, die Leute zur Kirche rennen", so Ravasi im Interview der Zeitung "Corriere della Sera" (Donnerstag). Er äußerte sich vor Beginn einer Konferenz zur Umwidmung von Kirchen, die bis Freitag in der Päpstlichen Universität Gregoriana stattfindet.
Ravasi zeigt Alternativen auf
In den meisten westlichen Ländern gebe es keinen wirklichen Atheismus. "Vielmehr herrscht eine Form religiöser Apathie: Ob es Gott gibt oder nicht, ist egal", so der Kardinal. Ein solches Bewusstsein führe aber dazu, dass jeder sich sein eigenes moralisches System aufbaue, wie es für ihn passt.
Selbst wenn sich in Umfragen jemand als Christ bezeichne, besage das mitunter wenig, so Ravasi. Vor einiger Zeit habe er auf Twitter geschrieben: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen" und massenhaft heftigste Reaktionen erhalten. "Die allermeisten haben nicht mal kapiert, dass ich das Evangelium zitiert habe."
Als mögliche Reaktionen zeigt Ravasi zwei Alternativen auf. Die eine sei das Verhalten vieler protestantischer Kirchen: dem Trend nachzugeben, sich zurückzuziehen und auf ein Minimum religiöser und moralischer Aussagen zu beschränken. Das halte er aber für falsch.
"Die Präsenz von Gläubigen, auch wenn es wenige sind, muss ein Schrei sein, kein Flüstern", so Ravasi. Besser sei es, auf diese Weise den Kern der christlichen Botschaft zu bewahren: "die Zehn Gebote, die Bergpredigt, die Wahrheit, Leben und Tod".
Papst Franziskus als Vorbild
Dies müsse aber so verkündet werden, dass man es heute versteht, in entsprechender Sprache und Medien. Papst Franziskus etwa mache das vor, wenn er in einfachen kurzen Sätzen spricht, indem er wie Jesus sprechende Bilder verwendet, in virtueller Welt Greifbares schildert.
Die zweitägige internationale Tagung "Wohnt Gott hier nicht mehr?" befasst sich mit Möglichkeiten der Umwidmung kirchlicher Gebäude.
Allein in Italien sind rund 65.000 Kirchen im Besitz von Pfarreien und Bistümern. Organisiert wird die Konferenz von der Gregoriana, dem Päpstlichen Kulturrat und der Italienischen Bischofskonferenz.