"Bis heute kann ich mir das Geschehene nicht richtig vorstellen", sagte sie dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch). Der 19. November 2019 habe ihr Leben und das Leben meiner Familie im Kern erschüttert.
Ein psychisch Kranker hatte den Mediziner von Weizsäcker während eines Vortrags mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt. Das Landgericht Berlin verurteilte den Täter wegen Mordes zu zwölf Jahren Haft und ordnete seine Unterbringung in der Psychiatrie an. Im Prozess erfuhr die Schwester des Ermordeten, dass die Attacke ursprünglich ihr gelten sollte - als Repräsentantin des Evangelischen Kirchentags, dem die 63-Jährige zwölf Jahre als Präsidiumsmitglied angehörte. "Es hat mich erst erschreckt, dann aber erstaunlich kalt gelassen. Weil es mich ja nicht getroffen hat. Später habe ich mich allerdings oft gefragt, warum Fritz und nicht ich?"
Formen der katholischen Kirche auf fruchtbaren Boden gefallen
Von Weizsäcker brachte ihren Übertritt zur katholischen Kirche 2020 in Zusammenhang mit der Zeit der Trauer. Sie habe zwar schon vorher überlegt zu konvertieren. Doch dann seien Formen, die in der katholischen Kirche gepflegt werden, bei ihr auf einen Boden gefallen, "der das brauchte": die Innerlichkeit, die Wärme, die Sinnlichkeit. "Kerzen, Weihrauch, das Knien beim Beten, die Liturgie, der Ritus der Messe, der einem überall auf der Welt ein Gefühl von Zuhause gibt, ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit." Der Übertritt sei dennoch "keine Entscheidung gegen etwas, sondern für etwas" gewesen, betonte sie.
Die Entscheidung für die katholische Kirche sei unabhängig von deren Haltung zu Frauen oder Homosexualität gefallen. Sie finde die kirchlichen Positionen hierzu sämtlich falsch, so von Weizsäcker. "Frauen ungleich zu behandeln und gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen zu verweigern - das geht ja auch gegen mich und meine Lebensform." Sie störe das, aber "es berührt nur den Kopf, den Intellekt. Es erreicht nicht mein Herz und dringt nicht in meinen Glauben ein. Mein Katholischsein hängt nicht davon ab, was der Vatikan über Frauen und über Homosexualität sagt."
"Gott wichtiger als die kirchenpolitische Fragen"
Mit Blick auf das noch "drängendere Problem" des sexuellen Missbrauchs hält von Weizsäcker Strukturreformen für notwendig. Für ihre Zugehörigkeit zur katholischen Kirche jedenfalls sei "Gott wichtiger als die kirchenpolitischen Fragen, mit denen sich meine Kirche ins Abseits stellt. Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich es vielleicht doch versuchen. Und wer weiß, was da noch kommt."