Zehn Jahre nach der heftigen Diskussion um seinen Satz "Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland" hält Altbundespräsident Christian Wulff weiter an der Aussage fest. "Ich halte den Satz für notwendiger denn je", sagte Wulff in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Die Gegner von Vielfalt, von einer bunten Republik Deutschland, vom gleichberechtigten Zusammenleben mit Minderheiten sind mehr geworden", ergänzte er.
Es täte der Debatte gut, wenn mehr Politiker den Satz selbstverständlich sagen würden, sagte Wulff. Menschenwürde und Religionsfreiheit seien im Grundgesetz garantiert. "Da ist es doch unbestreitbar, dass Moscheen inzwischen zu unserem Alltagsbild gehören und Rücksicht auf religiöse Belange von Muslimen genommen werden sollte."
Wulff löste Debatte aus
Als Bundespräsident hatte Wulff in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 gesagt, dass neben dem Christen- und Judentum auch der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre. Danach entbrannte eine erhitzte Debatte um Integration und Identität in Deutschland.
Wulff sagte, der Satz habe damals die Bedeutung bekommen, weil er auf dem Höhepunkt der Debatte über das Buch "Deutschland schafft sich ab" von Thilo Sarrazin ausgesprochen worden sei. "Die Stimmung im Land hatte sich deutlich verändert, und es war mein Versuch, diese Debatte wieder einzufangen und auf den Kern des Grundgesetzes hinzuführen", sagte Wulff. Nach seiner Rede sei das "Unfassbare" zutage getreten: "die Morde des NSU. Über viele Jahre." Die Liste rechtsextremistischer Morde setze sich fort in Kassel, Halle, Hanau und vielen anderen Orten.
Wulff für mehr Zivilcourage
Der frühere Bundespräsident und CDU-Politiker forderte mehr Zivilcourage und Dialog zwischen Zugewanderten und Einheimischen. Nach rechtsextremistischen Anschlägen sei immer wieder das Bild vermittelt worden, die Täter seien "unauffällig, eigentlich freundlich und zugänglich, nette Nachbarn oder Schützenbrüder gewesen". "Ich zweifele an, ob nicht diese Täter doch hier und da Inhalte geäußert haben, denen das Umfeld hätte deutlich und unmissverständlich widersprechen müssen", sagte der 61-Jährige.
Weiter sagte der in Hannover lebende Wulff, ihm mache Sorge, "dass wir so viel Hass, Radikalisierung und Häme in einer Zeit erleben, in der es unserem Land wirtschaftlich so gut geht, wie es ihm nie zuvor ging". Daran knüpfe die Frage an, "wie die Gesellschaft in den nächsten Jahren diskutieren und wählen wird, wenn durch Corona und den weltweiten Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt die Luft dünner wird".
Rechtsextreme Foren seien voll mit Verschwörungstheorien und Häme gegen "die da oben". "Ich sehe die Gefahr, dass mehr Leute dem auf den Leim gehen", sagte Wulff.