Was Glockengeläut von Muezzin-Rufen unterscheidet

Ein hinkender Vergleich?

Ein Kölner Modellprojekt will Muezzin-Rufe in den Moscheen der Stadt erlauben. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verglich die Rufe bei der Projektvorstellung mit dem Kirchengeläut des Kölner Doms. Passt so ein Vergleich?

Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth (KNA)
Kreuz auf einer Kirchturmspitze / © Chaz Muth ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was sind denn die Gemeinsamkeiten beim Läuten der Kirchenglocken auf der einen und dem Ruf des Muezzins einer Moschee auf der anderen Seite?

Dr. Klaus Hammer (Wissenschaftlicher Leiter des Glockenmuseums Stiftskirche Herrenberg bei Stuttgart): Beides sind zunächst einmal akustische Zeichen und Aufforderungen - zum Beispiel zum Gebet. Nicht nur das äußere, zum Himmel und zu Gott weisende architektonische Zeichen beim Minarett, von woher der Muezzinruf ertönt oder beim Kirchturm, wo die Glocken läuten, sind entscheidend. Das Wesentliche ist, dass die Läutezeichen einerseits und die Muezzinrufe andererseits diesen Gebetscharakter versinnbildlichen. Das geschieht oftmals sogar relativ zeitgleich.

Man muss sich vergegenwärtigen, dass das Morgenläuten, das Mittagläuten und das Abendläuten ihre Entsprechungen auch in drei von fünf Gebeten im Islam finden. Und selbst die beiden anderen Gebete zwischen Mittag und Abend, die es im Islam gibt, könnten mit dem Kreuzigungsläuten sozusagen identisch sein.

Das Abendläuten der Kirchenglocken bei Einbruch der Nacht wäre dann sozusagen etwas, was dem letzten islamischen Gebet von den Fünfen entsprechen würde.

DOMRADIO.DE: Es gibt aus Sicht der Kulturgeschichte in Europa aber auch Unterschiede, oder?

Hammer: Das Läuten in Europa ist sicherlich genauso alt wie der Muezzinruf im Vorderen Orient. Das Läuten lässt sich schon im 6. Jahrhundert nachweisen. Der Muezzinruf ist seit dem 7. Jahrhundert, in manchen Regionen Europas, wie zum Beispiel in Spanien seit dem 8. Jahrhundert bekannt, sehr viel später auch auf dem Balkan.

Ein wesentlicher Unterschied liegt darin, dass das eine eine direkte Botschaft ist. Das heißt, im Muezzinruf wird das Glaubensbekenntnis begründet.

Das andere ist eher ein Symbol für etwas, denn die Glocken verkünden keine Botschaft, sondern sie fordern beispielsweise zum Gebet, aber auch zu vielen säkularen Dingen auf.

Glocken haben nicht nur theologisch-liturgische Funktionen. Vielmehr hatten sie zum Beispiel im Mittelalter auch herrschaftliche, rechtliche Funktionen. Da gab es Ratsglocken, die den Stadtrat zusammengerufen haben oder Gerichtsglocken, die zum Beispiel bei der Hinrichtung von Delinquenten geläutet haben. Es gab auch die Wachtglocke zum Aufschließen und zum Abschließen der Stadttore oder Sturm- und Feuer-Glocken, wenn irgendeine Gefahr drohte.

DOMRADIO.DE: Obwohl beides eine akustische Botschaft beinhaltet, wird eine unterschiedliche Wirkung erzielt.

Hammer: Richtig. Das eine ist ein konkreter Aufruf, eine eindeutige Botschaft mit einem Aufforderungscharakter speziell zum islamischen Gebet. Es wird dabei gesagt: "Allah ist groß, ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah". Wir können Allah mit Gott übersetzen. Das wird auch für andere gläubige Menschen kein Problem sein. Aber wenn es dann weitergeht mit "ich bezeuge, dass Mohammed Gottes gesandter Prophet ist", dann sieht es schon ein bisschen anders aus.

Wenn es dann heißt, "kommt her zum Gebet, kommt her zum Heil", dann ist hier relativ eindeutig festgelegt, wo das Heil ist und damit auch, wo das Heil nicht ist. Das kann eine Spaltung bei denjenigen hervorrufen, die diese Botschaft nicht für wahr halten. Das ist der Punkt.

Glocken hingegen sind ein Symbol - auch für Gebete. Aber wenn zum Beispiel von einem Rathaus aus das Glockenspiel spielt, dann wird das wahrscheinlich weltliche Melodien spielen. Damit verbinden sich nicht unbedingt religiöse Aufforderungen und schon gar keine Botschaften. Das ist der wesentliche Unterschied, würde ich mal sagen.

Das eine hat eine ganz konkrete Botschaft und das andere ist eher ein Symbol für etwas oder als "Erinnern" an etwas zu verstehen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Symbolbild Islam in Österreich, Minarett, Moschee in Tirol / © Loes Kieboom (shutterstock)
Symbolbild Islam in Österreich, Minarett, Moschee in Tirol / © Loes Kieboom ( shutterstock )

"Der dicke Pitter" im Kölner Dom / © Andreas Kuehlken (KNA)
"Der dicke Pitter" im Kölner Dom / © Andreas Kuehlken ( KNA )
Quelle:
DR