Am Ostentor steht alles still. Statt Blechschlangen bewegt sich am Mittwochabend eine lange Reihe grüner Luftballons auf die große Kreuzung östlich der Innenstadt zu, getragen von jugendlichen Helfern des evangelischen Kirchentags. In der Mitte, wo eine große runde Bühne aufgebaut ist, treffen sich die Luftballons und bilden ein Kreuz.
"Für gewöhnlich musst du hier sehen, wie du rüber kommst, und höllisch aufpassen, dass du nicht unter die Räder gerätst", sagt die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, in ihrer Predigt im Eröffnungsgottesdienst vor rund 25.000 Besuchern. "Und wir? Feiern Gottesdienst, mittendrin, hören Worte, Klänge, Stille statt Motorenlärm, singen und beten."
Und das bei bestem Wetter. Der Gottesdienst am Ostentor war der größte von drei Freiluft-Gottesdiensten, mit denen der 37. Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund eröffnet wurde. Das befürchtete Unwetter blieb zunächst aus, die Regenschirme, die viele Teilnehmer wohlweislich mitgebracht hatten, wurden kurzerhand zu Sonnenschirmen umfunktioniert. Und die grünen Schals, an denen man in Dortmund in diesen Tagen Kirchentagsbesucher schon von weitem erkennt, wurden mal zum Kopftuch, mal zum Schweißband.
"Wer Nation und Volk zum Gott macht, der lästert Gott"
Insgesamt 118.000 Menschen erwarten die Veranstalter bis Sonntag auf dem Dortmunder Kirchentag, der unter der Losung "Was für ein Vertrauen" steht. Unter den knapp 2.400 Veranstaltungen sind thematische und geistliche Veranstaltungen sowie Bibelarbeiten und Konzerte. Ein Glaubensfest, aber auch eine politische Veranstaltung solle der Kirchentag sein, hatte Kirchentagspräsident Hans Leyendecker bereits auf der Eröffnungspressekonferenz betont.
Das drückte sich auch in seinen Eröffnungsworten im Gottesdienst aus. Ein Kirchentag sei für langjährige Besucher wie nach Hause zu kommen, sagte der Journalist. "Heimat ist eine der schönsten und wärmsten Vokabeln unserer Sprache. Wer aber Nation und Volk zum Gott macht, der lästert Gott." Die Entscheidung des Kirchentagspräsidiums, Repräsentanten der AfD nicht zur Mitwirkung auf Podien einzuladen, hatte im Vorfeld für Diskussionen gesorgt.
Leyendecker wandte sich besonders an die jungen Besucher des Kirchentags. "Danke, dass ihr Dampf macht, dass ihr euch aufregt, dass ihr laut und bunt seid. Und das nicht nur am Freitag." Erkennbar versuchte auch der Gottesdienst, sowohl junge Menschen, als auch traditionell gesinnte Kirchgänger anzusprechen. Neben Gesangbuch-Klassikern wie "Lobet den Herren" und "Pilger sind wir Menschen" wurden auch poppige Lieder wie "Auf dich vertrauen" gesungen. Während die Kollekte eingesammelt wurde, tanzten auf der Bühne Jugendliche zu souliger Livemusik von Samm Henshaw.
Junge Generation im Fokus
Auch im zeitgleichen Eröffnungsgottesdienst für Familien stand die junge Generation im Fokus. In einer Dialogpredigt mit Pfarrerin Henriette Crüwell zitierte der Oberschüler Maximilian Winter den Slogan der weltweiten Protestbewegung "Fridays for Future": "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!" Damit stellten die Schülerinnen und Schüler eine direkte Vertrauensfrage an die Älteren: "Können wir uns auf euch verlassen, dass ihr euch um unseren Planeten kümmert?", sagte Winter. Die Pfarrerin aus Offenbach stellte die Gegenfrage: "Was müssen wir denn tun, damit ihr uns wieder vertrauen könnt?" Winter antwortete: "Ein Anfang wäre ja schon mal, dass deine Generation meine endlich ernstnimmt."
Ein dritter Eröffnungsgottesdienst auf dem Hansaplatz nahm die ökumenische Perspektive ein. Die rumänische Pastorin Elfriede Dörr warnte mit Blick auf globale Krisen wie den Klimawandel vor Resignation. Wer auf Gott vertraue, weiche der Gefahr nicht aus, packe an und tue das, "was dem Leben dient", sagte die Ökumene-Beauftragte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.
Auch Kirchentagspräsident Leyendecker betonte: "Gegen Gift des Misstrauens setzen wir unseren Glauben, unser Gottvertrauen, setzen wir unser Handeln." Am Ende des Gottesdienstes wurden die grünen Luftballons in der Menge verteilt. Die Gottesdienstbesucher konnten sie als sichtbares Zeichen mit in die Stadt nehmen. "Packt nun eure Sachen und zieht aus", sangen sie dazu.
Von Jasmin Maxwell