Biblischer Theologe über die UNESCO-Resolution zum Tempelberg in Jerusalem

Überraschend einseitig

Für den Theologen und Archäologen Prof. Dieter Vieweger kommt die UNESCO-Resolution, den Tempelberg in Jerusalem ausschließlich als muslimische heilige Stätte zu definieren, überraschend. Er befürchtet, dass diese Resolution Öl ins Feuer gießen wird.

 (DR)

domradio.de:  Ist diese Resolution nicht Zündstoff für die sowie schon explosive Lage in Jerusalem?

Prof. Dieter Vieweger (Theologe und Biblischer Archäologe): Das kann man wohl so sagen, weil man immer von hohen Institutionen wie der UNESCO verlangen kann, dass sie ausgewogen sind. Und der erste Absatz der Resolution klingt auch erst einmal wunderbar. Darin wird gesagt, es ist richtig, dass man in Jerusalem immer daran denkt, dass die drei monotheistischen Religionen dort ihre Wertigkeit und ihre Heiligtümer haben, und dass sie zusammenleben müssen. Aber wir haben seit 2014 hier eine Situation, die rund um den Tempelberg bzw. um den Haram Al-Sharif (Anm.d.Red.:  "das erhabene Heiligtum", arabischer Name von Tempelberg) eskaliert.

domradio.de: Warum eskaliert die Situation am Tempelberg?

Das ist ein großes innenpolitisches Problem in Israel, weil der Haram Al-Sharif in der modernen Bebauung mit dem Felsendom und der Al-Aqsa-Moschee eigentlich dem Waqf übergeben worden ist, der islamischen Stiftung, und da sollen nur Muslime beten. Aber seit 2014 haben in Israel Rechtsgerichte in der Bevölkerung, etwa 2,5 Prozent, die Überzeugung durchgesetzt, dass auch Juden dort beten und Gottesdienste abhalten dürfen sollten. Diese Forderung bezieht man auf die Geschichte, weil dort einmal der jüdische Tempel gestanden hat. Problematisch ist, dass die UNESCO einen Rundumschlag in die andere Richtung macht und die jüdischen Rechte völlig ignoriert.

domradio.de: Hat Sie diese Resolution überrascht?

Vieweger: Ja, völlig. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass denkende und aufgeklärte Menschen einfach nur einseitig politisch argumentieren können. Politisch korrekt ist: Im Paragraph 9 des Friedensvertrags vor 20 Jahren haben der israelische Ministerpräsident Rabin und der jordanische König Hussein festgelegt, dass der Haram Al-Sharif von den Muslimen verwaltet wird und der jordanische König auch der Hüter dieser islamischen Stätten ist. Insofern sind die Versuche von jüdischen Gruppen, oben auf dem Tempelberg Fuß zu fassen und Gottesdienste zu feiern, gegen das Vertragsrecht.

domradio.de: Und was macht die UNESCO jetzt verkehrt?

Wenn ich heute über den Platz gehe, wo der Felsendom steht und früher der jüdische Tempel einmal stand, dann darf man das dort nicht mal mehr erwähnen. Muslimische Geistliche sagen, das ist ewig Unser gewesen, es hat da nie etwas Jüdisches gegeben. Hier wird richtig Geschichtsfälschung begangen. So trifft hier Problem auf Problem. Und da sollte sich die UNESCO nicht auf nur eine Seite stellen, sondern vermitteln.

domradio.de: Welche Folgen hat denn diese Resolution?

Vieweger: Das ist noch nicht vorauszusehen. Ich hoffe keine, aber ich habe gelesen, dass Israel die Zusammenarbeit mit der UNESCO erst einmal auf Eis legt. Das wäre schon etwas sehr Negatives, denn wir haben viele schützenswerte Kulturstätten, wo die UNESCO ein wichtiger Player ist. Wenn sie nicht mehr dabei ist, geschieht hier nichts Gutes. Wir brauchen die Vermittlung der UNESCO.

domradio.de: Und darüber hinaus?

Und dann könnten sich die islamischen Leute noch mehr im Recht fühlen mit ihrer historisch nicht haltbaren These, es hätte nie einen jüdischen Tempel gegeben. Sie brauchen da ja nur an die Klagemauer zu gehen. Da ist die jüdische Geschichte mit Händen zu greifen. Und ich fürchte, dass es zu neuen Auseinandersetzungen kommen kann, die ja nie aufgehört haben – sogar mit Toten und Verletzten. Also, wir haben ja schon eine schwierige Lage, in der jetzt hoffentlich nicht noch eine Lunte geworfen wird.

Das Interview führte Silvia Ochlast.

 


Quelle:
DR