Lapislazuli im Kiefer - Nonnen stellten im Mittelalter Bücher her

Auf den Zahn gefühlt

Die mittelalterliche Nonne muss eine versierte Illustratorin von Handschriften gewesen sein. In ihrem Kiefer fanden Forscher Reste von Lapislazuli, einem kostbaren Stein, der zur Herstellung blauer Farbe verwendet wurde.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Die Wissenschaftler waren irritiert: Die blauen Pigmente, die sie im Zahnstein einer mittelalterlichen Nonne aus Westfalen fanden, ließen sich lange nicht zuordnen. Eigentlich beschäftigte sich die amerikanische Molekular-Archäologin Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena mit der Mundhygiene im Mittelalter. Rückstände im Kiefer können Aufschluss über die Ernährung und mögliche Schadstoffe geben.

Doch schließlich gab der versteinerte Zahnbelag sein Geheimnis frei: Es handelte sich um Teilchen von Lapislazuli, dem kostbaren Stein, der für die Herstellung des leuchtenden Blaus in mittelalterlichen Handschriften gebraucht wurde.

Bereicherung für die Forschung

Eine Erkenntnis, die ein neues Licht auf das Mittelalter wirft: Denn das internationale Forschungsteam aus Jena und von der Universität York schließt daraus, dass auch Nonnen damals wertvoll illustrierte religiöse Texte erstellten, wie das Max-Planck-Institut am Donnerstag auf seiner Homepage mitteilte. Was auch voraussetzt, dass sie hoch gebildet waren und lesen und schreiben konnten.

Das Forschungsteam hatte die Skelette von Mönchen und Nonnen untersucht, die auf einem Friedhof beim mittelalterlichen Frauenkloster Dalheim nahe Paderborn begraben liegen. Die Frau mit dem Blauzahn muss zwischen der ersten Jahrtausendwende und dem Jahr 1200 gelebt haben und im Alter zwischen 45 und 60 Jahren gestorben sein.

Historiker verhöhnen die Theorie

"Wir haben hier den direkten Beleg für eine Frau, die nicht nur malte, sondern dies darüber hinaus mit einem äußerst seltenen und wertvollen Pigment tat und das an einem sehr abgelegenen Ort", erklärt Studienleiterin Christina Warinner vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte ihre überraschenden Erkenntnisse. Die Wissenschaftler vermuten, dass die Nonne die Pinselspitze beim Arbeiten immer wieder anleckte oder das Puder beim Herstellen der Farbe einatmete.

"Ich habe mit einigen Historikern gesprochen, die gesagt haben, das wäre lächerlich! Sie müsse wohl eine Putzfrau gewesen sein - sie konnten das überhaupt nicht ernst nehmen", erzählt Warinner. Auch andere Möglichkeiten wurden deshalb durchgespielt - und verworfen: So hätte die Nonne etwa religiöse Gemälde geküsst haben können - doch ist dieser Brauch erst drei Jahrhunderte später nachgewiesen.

Als sehr unwahrscheinlich gilt auch die Möglichkeit einer Einnahme von Lapislazuli als Arznei. Dafür gab es im 11. und 12. Jahrhundert zwar einige Beispiele - allerdings alle aus den islamisch geprägten Regionen.

Anteil der Frauen in der Buchkunst höher als gedacht

So war Buchkunst offenbar doch nicht nur Männersache, wie etwa Romane wie Umberto Ecos "Der Name der Rose" nahelegen. Der Anteil der Frauen wurde bislang einfach nicht wahrgenommen. Als Zeichen der Frömmigkeit signierten viele mittelalterliche Schreiber und Illustratoren ihre Werke nicht - und wenn, waren es meistens Männer.

"Die geringe Sichtbarkeit des Beitrags von Frauen an der Herstellung der Bilderhandschriften hat verbreitet zu der Annahme geführt, dass Frauen hierbei kaum eine Rolle spielten", beschreiben die Wissenschaftler die Lücken der Geschichtsschreibung.

Lapislazuli: Das Luxusprodukt der Schreiber

Um so spannender sind die Lapislazuli-Rückstände im Kiefer der Nonne: Denn Lapislazuli war im Mittelalter enorm wertvoll - es gab damals nur eine bekannte Quelle in Afghanistan. Das exquisite Pigment musste also Tausende von Meilen mit Handelskarawanen und Schiffen zurücklegen, bis es nach Westfalen gelangte.

Und aus dem Stein das reine Farbpigment Ultramarin-Blau zu gewinnen, war ein aufwendiges Verfahren. Dass eine Frau mit der kostbaren Farbe gearbeitet hat, deute ihre hohe Kunstfertigkeit an. Nur sehr erfahrene und geübte Schreiber hätten dieses Luxusprodukt zum Verzieren von Büchern verwendet.

Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass die verwendeten Untersuchungstechniken - verschiedene spektrographischer Methoden wie Röntgenspektroskopie - weitere neue und aufregende Erkenntnisse für Historiker liefern können. "Ich frage mich, wie viele andere Künstler und Künstlerinnen wir auf mittelalterlichen Friedhöfen finden könnten - wenn wir nur nach ihnen suchen würden", sagt Studienleiterin Warinner.


Quelle:
KNA