DOMRADIO.DE: Seit Aschermittwoch und noch bis Ende März hängt tatsächlich eine sehr große Doppelschaukel mitten in ihrer Kirche. Das ist ein ungewöhnliches Bild. Was steckt hinter dieser Idee?
Thomas Lemanski (Pfarrer in der Stadtkirche St. Dionysius in Rheine): Das ist ein ungewöhnliches Bild, obwohl es schon in jahrhundertealten Fresken, zum Beispiel in Südtirol, den heiligen Prokulus gibt, der auf einer Schaukel sitzt. Dahinter steckt, wie damals in den Fresken die Vorstellung, dass ich in der Kirche eine Verbindung habe mit Gott und mit den Menschen.
Diese Schaukel ist ja von oben herab gehängt, sozusagen vom dicken Gewölbe, was für uns auch ein Himmelsgewölbe ist. Und die Doppelschaukel nimmt noch einmal Bezug darauf, dass ich nicht alleine schaukel, sondern, dass ich zwar von oben gehalten bin, aber immer in einem Beziehungskonstrukt bin mit einem anderen Menschen. Und das macht den Reiz dieser Doppelschaukel aus.
DOMRADIO.DE: Das heißt, in der Tat sitzen sich dann jeweils zwei Menschen an zwei Schaukeln gegenüber und treten dadurch miteinander in Beziehung. Es geht also um zwischenmenschliche Beziehungen und die Nächstenliebe. Gelingt das?
Lemanski: Das Besondere an dieser Schaukel ist, dass die Schaukeln nicht einzeln von der Decke gehängt sind, sondern von der Decke ist zuerst ein kleines Trapez abgehängt und an diesem hängen die Schaukeln, sodass es physikalisch tatsächlich so ist, dass man im Kräfteverhältnis voneinander abhängig ist. Manchmal ist es beim Schaukeln so, dass eine Person plötzlich stehenbleibt und der andere die ganze Energie des anderen aufnimmt und vorwärts getrieben wird.
Das kann ich physikalisch nicht erklären als Theologe. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass es grandios ist, dass ich tatsächlich die Kraft, die Energie des anderen aufnehme und auch wieder abgebe. Das hat jetzt in erster Linie nichts mit Nächstenliebe zu tun, aber wohl mit der Erfahrung, dass ich nicht alleine in diesem Raum bin, sondern, dass ich erst einmal mit anderen eine Beziehung aufbaue. Das tut man besonders, da man sich beim Schaukeln ja auch gegenübersitzt und sich sieht, im Abstand von etwa 15 bis 20 Metern.
DOMRADIO.DE: Wir haben zum einen diese Schaukel, aber dann haben wir auch noch sehr, sehr große Spiegel, die in der Kirche angebracht sind. Wie kommen die da jetzt ins Spiel?
Lemanski: Die Schaukel haben wir ja nicht einfach nur aus Spaß dahin gehängt. Insofern ist die Kirche jetzt nicht ein Spielplatz, aber wohl ein Erfahrungsraum. Und die Doppelschaukel ist Teil einer großen künstlerischen Rauminstallation des Künstlers Mario Haunhorst. Diese Spiegel laden ein, hineinzuschauen, mich selbst zu sehen. In der Dionysius Kirche ist besonders die Decke gestaltet mit wunderschön gemalten Weinranken aus dem 15. Jahrhundert, die ich dann im Spiegel auch noch sehen kann.
Wein ist etwas Wunderbares, aber der Weinberg spielt auch in den Evangelien immer wieder eine ganz große Rolle und in die Spiegel sind Zitate hineingraviert - aus den Psalmen, aus der Bibel von Schriftstellern, von Heiligen wie der heiligen Klara und so weiter. Und indem ich etwas lese, indem ich mich selbst sehe, indem ich den Raum noch einmal ganz anders in den Spiegeln wahrnehme, bin ich ja eingeladen zu überlegen: Was ist das hier eigentlich? Ich bin in einer Kirche. Wofür steht die Kirche? Warum fühle ich mich hier wohl? Vielleicht kann ich auch etwas, was ich bisher noch gar nicht gesehen habe, plötzlich sichtbar machen und mir diese Kirche erschließen. Das ist eigentlich unser Wunsch für die Bürger in Rheine, aber auch für diejenigen, die von außerhalb kommen.
DOMRADIO.DE: Das können die Menschen in Rheine und auch darüber hinaus jetzt seit Aschermittwoch tun. Also, sich auf diese Schaukel setzen. Wie ist die erste Resonanz? Was sagen die Leute?
Lemanski: Wir haben ja in diesem Jahr ein großes Jubiläumsjahr, weil wir feiern, dass unsere Kirche seit 500 Jahren fertiggestellt ist. 1520 sind die Bauarbeiten der Kirche abgeschlossen worden. Seit Januar machen wir die Erfahrung, dass sich ganz viele Menschen ansprechen lassen durch verschiedene Gottesdienste, durch verschiedene Programmpunkte wie Lesungen, Funzelführungen für Kinder. Wir haben bis Oktober noch ein wunderbares Programm.
Und auch hier, bei der Doppelschaukel, merken wir, dass die Menschen kommen, dass sie sich eingeladen fühlen, mal auf ganz andere Weise Kirche zu erleben. Am Aschermittwoch war es so, dass viele Menschen zum Gottesdienst gekommen sind und hinterher gerne geblieben sind, um sozusagen das mit dem Schaukeln zu sehen, vielleicht manchmal noch ein bisschen neugierig. Aber ich bin sicher, dass in den nächsten Wochen immer mehr den Mut finden, sich da tatsächlich reinzusetzen.
DOMRADIO.DE: Und ich denke, jetzt sind ganz viele Menschen neugierig geworden. Wann gibt's den nächsten Termin?
Lemanski: Die Termine findet man auf unserer Homepage: Dionysius-Rheine.de. Aber es ist immer so, dass freitags nach der Messe, die wir um 17 Uhr feiern, die Möglichkeit besteht zu schaukeln. Samstags vormittags, nachmittags, sonntags, nach dem letzten Gottesdienst, der um 11 Uhr 15 beginnt. Ich glaube einfach, ein Blick auf die Homepage lohnt sich, um sich das Jubiläumsprogramm anzuschauen, aber auch für die Schaukeltermine, die dort aufgelistet sind. Eine herzliche Einladung an alle nach Rheine zu kommen!
Das Interview führte Carsten Döpp.