DOMRADIO.DE: Die Zeit ist reif für eine neue Friedenshymne, singen Sie auf Ihrem aktuellem Album. Warum?
Heinz Rudolf Kunze (Musiker und Schriftsteller): Nicht nur für eine Friedenshymne, für eine Ermahnungshymne, endlich Farbe zu bekennen und den Mund aufzumachen für die Mitte der Gesellschaft, für die viel beschworenen, hart arbeitenden Männer und Frauen, den kleinen Mann, die kleine Frau. Diejenigen, die jetzt viel zu lange kopfschüttelnd zugehört haben, wie die Ränder krakeelen. Da ist es Zeit, dass die aufwachen, mit der Faust auf den Tisch hauen, Farbe bekennen und durch eigene Äußerungen dieses Getöse am Rand mal auf die Plätze zu verweisen. Aber meinetwegen auch für Frieden. Na klar. Und für Toleranz und Gerechtigkeit. Und für alle diese Dinge, die heute bedroht sind und nicht zuletzt für die Wahrheit.
DOMRADIO.DE: Und das Getöse am Rand ist sowohl rechts als auch links?
Kunze: Was mich beunruhigt, ist natürlich auf der rechten Seite diese Partei, mit ihrer riesigen offenen Flanke zum Rechtsradikalismus. Auf der anderen Seite des Spektrums sehe ich manche jugendlich erklärbare Überaufgeregtheit, wenn es um die Umwelt geht. Alles, was sich da um die Greta herum tut, hat sicherlich seine Verdienste. Und Jugend hat sicherlich immer das Recht, sich zu echauffieren und sich aufzuregen. Manches ist mir da zu hitzig. Das wird sich dann legen, wenn man älter wird. Ich spreche aus Erfahrung.
DOMRADIO.DE: Was können wir tun?
Kunze: Wenn ich das wüsste, würde ich mich bei Herrn Steinmeier melden und als Redenschreiber aufdrängen oder als sein Staatssekretär. Das Einzige, was mir dazu einfällt, ist: Die demokratischen Parteien müssen sich mal wieder um ihre Wähler kümmern, statt um irgendwelche exotischen fünf- oder sechsrangigen Themen. Denn viele der Menschen, die nach rechts ihr Kreuzchen wandern lassen, fühlen sich nicht wahrgenommen, nicht ernst genommen und abgehängt. Die leben irgendwo auf dem Land in Mecklenburg-Vorpommern oder in den Schluchten vom Thüringer Wald, wo kein Arzt ist, wo kein Bus fährt, wo keine Infrastruktur stimmt. Und wenn die Parteien der demokratischen Spielart das wiederentdecken würden, den Wähler, dann wäre schon viel gewonnen. Und dann wären meiner festen Überzeugung nach 75 Prozent der Menschen, die aus Wut Rechts wählen, rückholbar. Die SPD hat es in spektakulärer Weise vorgemacht, wie man Wähler vergessen kann, aus dem Blick verlieren kann, und die CDU ist auf dem besten Weg, es ihr nachzutun.
DOMRADIO.DE: Ein Stück auf der neuen Platte heißt "Der Prediger". Sind Sie selbst der Prediger?
Kunze: Eigentlich dachte ich an so Wachtturm-haltende Zeugen Jehovas oder schlimmere politische Finger, die an Ecken stehen und brüllen und glauben, wenn sie am lautesten brüllen, dann werden sie gewinnen und ihre Wahrheit wird sich durchsetzen. Aber ich gebe zu, es gibt da zwei Strophen, wo die Orgel aufgeht wie die Sonne und wo gesungen wird: "Ihr hört gar nicht zu, ihr hört gar nicht hin, begreift gar nicht, was ich euch sage." Da hab ich dann ein bisschen Mitleid mit dem Prediger und fühle mich so, wie sich ein Sänger auch gelegentlich fühlt, nämlich unverstanden.
Ich habe ja mit dem Gedanken gespielt, Theologie zu studieren, habe damit geflirtet nach meinem Philosophie- und Germanistikstudium. Dazu ist es dann nicht mehr gekommen, weil die Musik mich dann weggerissen hat. Aber Interesse war da. Und eine abgebrochene Doktorarbeit im philosophisch-theologischen Grenzbereich war auch da. Aber das Thema interessiert mich ein Leben lang.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch schon eine Kirchentagshymne komponiert. Es war so lange verpönt, den Zeigefinger zu erheben und zu predigen. Ist es nicht eine Zeit, um zu predigen?
Kunze: Nein, es ist eine Zeit, um der Wahrheit zum Recht zu verhelfen. Also sich um sie zu bemühen, andere Leute ausreden zu lassen, die eigene Position zu überprüfen und gemeinsam um Wahrheit zu ringen. So wie manche sehr moderne Theologen sagen: "Die Sehnsucht nach Gott ist schon Gott", so sage ich manchmal: "Das Bemühen um Wahrheit ist schon Wahrheit."
Aber man sollte vorsichtig sein mit dem erhobenen Zeigefinger. Das, was man zu sagen hat, wenn man glaubt, dass es wichtig ist, das sollte man tun. Aber als Angebot von überprüfbaren Einsichten. Andere niederzubrüllen ist da nicht der richtige Weg.
DOMRADIO.DE: Ein Song heißt "Nackter Fischer". Ist das ein religiöses Lied?
Kunze: Wenn Sie das so deuten möchten, habe ich nichts dagegen. Ich kann nur sagen, dass es einen anderen Anlass hat, nämlich einen ganz elementaren und simplen: das Logo vom S.Fischer-Verlag. Ich hab diesen nackten Mann gesehen, der ein Netz zieht. Und hab mir irgendwann gedacht: Was ist das für ein schönes Bild? Was kann man da mal mitmachen? Wie kann man da ein gleichnisartiges Lied draus machen? Ich habe mir dann eben vorgestellt, den Menschen, den archaischen Menschen, der Natur, Menschen im Spannungsfeld zwischen den Gewalten der Natur und den Gewalten von Riten seiner Zivilisation, der Fischer sozusagen als Mittler zwischen dem Meer und dem hungernden Dorf. Und das ganze Lied ist eigentlich ein einziges Gleichnis, und wenn sie es religiös auslegen wollen, hab ich nichts dagegen.
Das Interview führte Tommy Millhome.