DOMRADIO.DE: In der Harry Potter-Reihe werden Feste wie Weihnachten oder Ostern gefeiert und Harry Potter hat einen Paten. Sind Zauberer religiös?
Prof. Dr. Nikolaus Wandinger (Professor für Systematische Theologie und Mitherausgeber von "Leben, Tod und Zauberstab. Auf theologischer Spurensuche in 'Harry Potter'"): Das ist in der Serie sehr versteckt würde ich sagen und hat keine größere Bedeutung. Es stimmt, Harry hat einen Paten, es gibt Weihnachts- und Osterferien. Allerdings wird der Inhalt dieser Feste in den Harry Potter-Romanen gar nicht und auch noch weniger in den Filmen thematisiert. Da würde ich sagen, das sind die Überbleibsel einer ehemals christlichen Kultur in einer säkularen Gesellschaft, so wie wir sie heutzutage auch haben.
DOMRADIO.DE: In der Reihe werden mehrere Bibelverse wörtlich zitiert. "Der letzte Feind, der zerstört werden wird, ist der Tod" steht so fast wörtlich im ersten Korintherbrief. "Wo dein Schatz ist, da wird dein Herz auch sein" stammt aus dem Matthäusevangelium. Was bedeutet das denn, dass die Autorin diese Bibelverse benutzt?
Wandinger: Diese beiden Verse befinden sich auf Grabsteinen. Harry und seine Freundin Hermine besuchen den Friedhof in Godric's Hollow, wo Harry herstammt und entdecken zuerst den Vers aus dem Matthäusevangelium auf dem Grab von Dumbledores Schwester und den, dass der Tod der letzte Feind ist aus dem ersten Korintherbrief, auf dem Grab von Harrys Eltern. Das heißt, die sind offensichtlich auf einem christlichen Friedhof begraben und haben deshalb auf ihrem Grabstein einen Bibelvers. Allerdings fällt auf, dass das Bibelverse sind, die eigentlich etwas allgemein Menschliches ausdrücken. Da ist nicht von Gott die Rede oder von Christus, sondern der eine aus dem Matthäusevangelium ist fast ein philosophischer Aphorismus: Wo dein Schatz ist, ist dein Herz, das ist eine Aussage darüber, wie wir Menschen funktionieren. So ist der Mensch.
Der andere Vers, das ist natürlich schon eine Aussage, die im Korintherbrief aus dem Glauben kommt. Aber Harry kapiert nicht, was sie eigentlich bedeuten soll. Das muss ihm seine Freundin Hermine erst erklären. Also ich würde auch hier sagen: Das ist zwar aus dem Christentum genommen und gibt eine christliche Sicht der Dinge wider, aber es ist nicht ausschließlich christlich. Wenn man so will, könnte man mit dem Theologen Karl Rahner sagen: Es ist anonym christlich. Die meisten Leser und Leserinnen, die merken das vielleicht gar nicht, dass das aus dem Neuen Testament stammt.
DOMRADIO.DE: Am Ende der Reihe opfert sich Harry Potter für seine Freunde. Da könnte man ja auf die Idee kommen, dass das so ein bisschen klingt wie: Jesus stirbt für die Menschen. Ist Harry Potter auch so eine Art Messiasfigur?
Wandinger: Jein. Ich würde sagen, es gibt deutliche Ähnlichkeiten und Anspielungen. Das beginnt schon in der Kindheit: Über Harry wird in seiner Kindheit eine Prophezeiung gemacht und über Jesus werden Prophezeiungen gemacht. Im Matthäusevangelium gibt es dann den Kindermord zu Bethlehem und bei Harry gibt es den Mord seiner Eltern, als er ein kleines Baby ist. Da werden schon Parallelen erzeugt, die nicht zufällig sind. Die sind sicher beabsichtigt. Trotzdem würde ich einen deutlichen Unterschied machen zwischen der christlichen Theologie des Opfers bei Jesus und der bei Harry Potter. Insofern, weil für das christliche Verständnis Jesus wirklich stirbt und dann auferweckt wird.
Harry stirbt, wenn man so will, durch einen magischen Trick eben nicht wirklich, sondern gaukelt es nur vor. Aber eine Ähnlichkeit gibt es noch, die ist mir sehr wichtig. Jesus stirbt in Feindesliebe. Er gibt sich auch sogar für die hin, die ihn töten. Und da kann man sich bei Harry fragen: Ist es da auch so? Und ich würde sagen, auf ganz leichte Weise ist es schon so. Denn in den Büchern kommt deutlich zum Ausdruck, dass Harry nicht versucht, seinen großen Gegner zu töten, sondern er möchte ihn eigentlich nur entwaffnen. Voldemort stirbt am Schluss nicht, weil Harry ihm was antut, sondern weil sein eigener Todeszauber gegen Harry auf ihn zurückfällt, ohne dass Harry dafür aktiv was tut. Harry warnt ihn sogar davor, dass das passieren könnte. Also insofern würde ich sagen, ist hier sogar auch ein Stück Feindesliebe mit drin.
DOMRADIO.DE: Von kirchlicher Seite gab es anfangs durchaus Kritik an der Reihe. Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., hat die Bücher mal als unchristlich bezeichnet. Andere Stimmen haben gewarnt, dass die Leser Alpträume bekommen könnten und der Unterschied zwischen Gut und Böse nicht mehr zu erkennen sei. Was sagen Sie dazu?
Wandinger: Zu den Albträumen würde ich sagen: Natürlich sollten die Bücher und auch die Filme nur von Kindern und Jugendlichen im richtigen Alter gelesen und gesehen werden. Das ist wie mit jedem anderen spannenden Film auch. Wenn die Altersgrenzen nicht beachtet werden oder wenn jemand besonders sensibel reagiert, dann kann so was passieren. Aber da gibt es, würde ich sagen, keinen Unterschied zwischen diesen Filmen und irgendwelchen Science-Fiction-Filmen.
Dann der Unterschied zwischen Gut und Böse: Da würde ich sagen, die Romane machen sehr, sehr klar, was das Gute und das Böse ist. Und sie machen auch klar, dass zwischen den guten und den bösen Menschen nicht so leicht zu unterscheiden ist. Das ist ja etwas, was gerade das Christentum auch sagt. Das Christentum sagt: Ja, wir sind alle in Sünde verstrickt - traditionell spricht man da von der Erbsünde. Wir sind alle nicht eindeutig gut oder eindeutig böse. Mehrere Konzile haben auch immer wieder entschieden, dass natürlich alle Heiligen außer der Gottesmutter auch Sünder oder Sünderinnen waren und trotzdem durch die Gnade Gottes heilig wurden. Dass man also zwischen dem Guten und dem Bösen als Ideologie unterscheiden kann. Daraus folgt nicht, dass man dann zwischen den guten und bösen Personen eindeutig unterscheiden kann.
Und der letzte Punkt zu Kardinal Ratzinger, Papst Benedikt, der ist natürlich richtig. Allerdings muss man da den Kontext und die Genese beachten. Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, das war Kardinal Ratzinger damals noch, hat sich nichts von sich aus oder gar offiziell zu diesen Romanen oder zu den Filmen geäußert, sondern er wurde von einer Autorin angeschrieben, Gabriele Kuby, die sehr vor diesen Büchern gewarnt hat. Und die hat gesagt, sie warnt davor, weil diese Bücher diese schlimmen Folgen hätten. Und der Kardinal hat ihr das bestätigt: Das ist gut, dass Sie das tun, wenn das so ist. Das war ein persönlicher Brief von Kardinal Ratzinger an Frau Kuby, bei dem sie dann allerdings vom Kardinal die Erlaubnis bekommen hat, daraus öffentlich zu zitieren. Aber es ist kein offizielles Schreiben gewesen.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie überhaupt auf die Idee gekommen, sich mit dem Thema der Religion in der Harry Potter-Reihe auseinanderzusetzen?
Wandinger: Das war Zufall. Ich habe auch den ersten Film gesehen, habe gedacht, dass der ganz nett ist und habe dann auch die Romane gelesen, bin also über den Film zu den Romanen gekommen. Und ab dem zweiten Band habe ich mir gedacht: Da versteckt sich Theologie drin. Und nachdem das auch in den weiteren Bänden der Fall war, habe ich gedacht, dass ich mich auch ernsthaft damit beschäftige.
Das Interview führte Heike Sicconi.