Kardinal Gerhard Ludwig Müller kritisiert die Amtsführung von Papst Franziskus und bescheinigt ihm zugleich Rechtgläubigkeit. Franziskus mache sich etwa bei Personalentscheidungen "von Zuträgern und ihren oft unedlen Motiven abhängig", sagte der frühere Chef der vatikanischen Glaubensbehörde dem "Spiegel".
Auf die Frage, ob Franziskus ein Häretiker sei, antwortete der Kardinal: "Nein. Dieser Papst ist orthodox, das heißt im katholischen Sinne rechtgläubig." Seine Aufgabe sei es aber, die Kirche zu einen. "Und es wäre gefährlich, wenn er der Versuchung erläge, jene Gruppe, die sich mit ihrem Progressismus brüstet, gegen den Rest der Kirche auszuspielen".
Geistige Gemeinschaft oder Wirtschaftsunternehmen?
Es dürfe auch nicht sein, dass "die Gesamtkirche nach den Regeln des Jesuitenordens geführt wird", fügte Müller mit Blick auf die Ordensgemeinschaft hinzu, der Franziskus angehört. Jeder Mensch habe seine eigenen Lebenserfahrungen; sie müssten aber durch Berater ausgeglichen werden, insbesondere durch Austausch im Kardinalskollegium, mit den Bischöfen und Theologen der Weltkirche.
Müller, der von 2002 bis 2012 Bischof von Regensburg war, kritisierte ferner den Kardinalsrat. Das päpstliche Beratergremium sei "ein exklusiver Zirkel geworden, in dem der Management-Gedanke zu dominieren scheint." Die Kirche sei jedoch eine geistliche Gemeinschaft, die nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen zu organisieren sei.
Misstrauen und Intrigen im Vatikan
Müller kritisierte zugleich, es gebe einen willkürlichen Umgang mit dem Personal im Vatikan. Es existiere kein Kündigungsschutz und kein Personalrat. Jeder könne ohne Angabe von Gründen entlassen werden. Franziskus sei leider umgeben von Leuten, die ihre Höflingsmentalität nicht ablegen wollten.
Es gebe heute im Vatikan "Hofschranzen", denen jedes Wort von Papst Franziskus als sakrosankt gelte. "Jeden, der nicht in ihre Linie passt, bezichtigen sie des Komplotts gegen den Papst", so Müller, dessen Amtszeit an der Spitze der Glaubensbehörde Papst Franziskus nicht verlängert hatte.
"Klerikalismus ist Grund für Missbrauch"
Mit Blick auf den Anti-Missbrauchsgipfel kommende Woche im Vatikan widersprach der Kardinal der These, eine Ursache für sexuellen Missbrauch liege im Klerikalismus. Dafür gebe es keine empirischen Belege. Die Ursache liege im verdorbenen Charakter der Täter. "Allerdings gab es in der Vergangenheit Fälle, wo aus geistlicher Autorität politische Macht wurde."
Zum Fall des US-Kardinals Theodore McCarrick, der am Samstag aus dem Priesterstand entlassen wurde, sagte Müller, er habe davon persönlich nichts gewusst. Er bekräftigte seine These von einem Zusammenhang von Missbrauch und Homosexualität.
Weit über 80 Prozent der Opfer sexuellen Missbrauchs Jugendlicher seien männlich. "Bei dem am Donnerstag beginnenden Missbrauchsgipfel aber sollen diese Daten unvernünftigerweise keine Rolle spielen", kritisierte der Theologe. "Übrigens bin ich der Meinung, dass kein Mensch gottgewollt als Homosexueller geboren wird, wir werden geboren als Mann oder Frau."
Versteckte Anspielung auf Kardinal Marx?
Auf die Frage, warum Franziskus anders als Benedikt XVI. in Deutschland so beliebt sei, sagte Müller: "Das sagt viel über den traurigen Geisteszustand in unserer Heimat aus." Deutschland sei einmal theologisch führend gewesen.
Dass es derzeit ausgerechnet Deutsche seien, die sich "bei dieser völligen Talfahrt an die Spitze des Zuges setzen und die Lokomotive für die Weltkirche spielen wollen", sei mehr als kurios. Namen nannte der frühere Theologieprofessor nicht. Auf die Frage, ob er auf Kardinal Reinhard Marx anspiele, sagte er: "Ich spiele nicht auf Personen an, sondern auf unerfreuliche Tatsachen."