Für die Abschaffung des Zölibats reichen zehn Minuten. Nach einem Impulsvortrag des Münsteraner Kirchenhistorikers Hubert Wolf, der dazu gerade ein neues Buch verfasst hat, heißt es: Wer ist dafür, wer dagegen? Etliche grüne Karten, nur wenige rote gehen nach oben. Das Meinungsbild fällt eindeutig aus.
Ähnlich die Zustimmung bei der Zulassung von Frauen zu allen Weiheämtern. Würde es sich hier um eine verfassungsgebende Versammlung der katholischen Kirche handeln, sähe diese am Ende des Abends völlig anders aus als gewohnt. Aber es ist eine Veranstaltung der Katholischen Akademie in Bayern.
Publikum in Diskussionen einbezogen
Ein Hauch von Revolution weht am Dienstag durch den großen Saal des Münchner Kardinal-Wendel-Hauses. Der neue Direktor Achim Budde hat "methodisches Neuland" angekündigt. Das drückt sich schon in der aufgelockerten Sitzordnung aus: Statt wie im Hörsaal oder Klassenzimmer nimmt das Publikum nicht in Stuhlreihen Platz, sondern an gedeckten Tischen zu je sechs Personen.
Für "Die Rückkehr der Reformdebatte" hatte die Akademie vorab eine Umfrage gestartet. Die Ergebnisse werden an Stellwänden nach Themen gegliedert präsentiert: Zölibat, Machtstrukturen, Geschlechtergerechtigkeit, Amtsverständnis. Unter den Zuschriften ragt die des hochbetagten früheren SPD-Spitzenmanns und Akademie-Stammgasts Hans-Jochen Vogel heraus, der sich - in zweiter Ehe verheiratet - kritisch mit dem traditionellen katholischen Verständnis von Todsünden in der Sexualmoral beschäftigt.
Das Publikum hat viele Gelegenheit zur Beteiligung. Per SMS an den Veranstalter kann es Fragen lancieren, am Tisch bei Brot und Wein Thesen formulieren, über die dann von allen "abgestimmt" wird. Ein lebhaftes Gespräch kommt so in Gang, das die Gäste sichtlich genießen.
Kirchenhistoriker Wolf würdigt Buddes Mut zur Neuformatierung und erhält dafür starken Applaus. Er habe auch manch kontroverses Tischgespräch sehr genossen. "Das hat man als Referent selten." Vor einer Radiosendung habe ihm unlängst ein Redakteur versprochen, dass sich ein Bischof der Zölibatsdiskussion im Studio stellen werde - aber dann keinen auftreiben können.
Konservativer Widerpart fehlt
Eine richtige Kontroverse will indes an diesem Abend nicht in Gang kommen. Mit dem in der Schweiz lehrenden Moraltheologen Daniel Bogner, der Tübinger Dogmatikerin Johanna Rahner und eben Wolf sind drei ausgewiesene Reformer geladen, denen der konservative Widerpart fehlt. Zudem ist sich das Publikum mit den dreien viel zu einig. Budde sagt im Anschluss, das habe ihn überrascht.
Zur Erfolgsaussicht von Reformen überwiegen skeptische Stimmen. Dafür habe es schon zu viele folgenlose Gesprächsformate in der deutschen Kirche gegeben, von der Würzburger Synode in den 1970er Jahren über diözesane pastorale Foren bis zuletzt zum dreijährigen Gesprächsprozess der Deutschen Bischofskonferenz nach dem Missbrauchskrisenjahr 2010 und dem Skandal um den überteuerten Neubau des Limburger Bischofshauses.
Die nächste Runde dürfe kein Strohfeuer werden - vielleicht sei das nun die letzte Gelegenheit, "sonst können wir den Laden zusperren", lautet eine These, die auf starke Zustimmung stößt.
Revolution vorerst vertagt
Der mit 47 Jahren jüngste Referent, Daniel Bogner, bedauert, dass das Kirchenvolk oft "so gering von seinen Möglichkeiten denkt". Hoffnung mache ihm die Initiative "Maria 2.0", deren Entstehen er in seinem Wohnort Münster aus nächster Nähe beobachten konnte. "Das hat mit zehn Frauen begonnen und bei uns in der Schweiz ist daraus eine ganz große Initiative geworden.". Viele weitere Aktionsformen seien denkbar, die zu einem Sog führen könnten, dem sich dann auch Bischöfe nicht länger entziehen könnten.
Am Ende des Abends steigt der Theologe auf die Barrikaden. Die entscheidende Frage sei doch: "Wie fallen wankende Regime?" Dann zieht er einen Vergleich zum Fall des Eisernen Vorhangs, den auch nicht Gorbatschow allein eingerissen habe. Diesmal kommt der Applaus nur zögerlich und alles andere als frenetisch.
Die Revolution in der katholischen Kirche ist vorerst vertagt. Dazu war es an dem lauen Sommerabend in München auch zu gemütlich.