Misereor kritisiert am Welterschöpfungstag Politik

Mentalität muss sich ändern

Der Hauptgeschäftsführer von Misereor kritisiert, dass sich die Politik zu sehr von Wirtschaftsinteressen leiten ließe. Es müsse ein Wandel des Systems und der Mentalität stattfinden. In den Preisen müssten sich die ökologischen Kosten widerspiegeln.

Braunkohletagebau Garzweiler / © David Young (dpa)
Braunkohletagebau Garzweiler / © David Young ( dpa )

DOMRADIO.DE: Ab heute, dem 29. Juli, leben wir auf Pump. Jedes Jahr markiert der Welterschöpfungstag den Tag, an dem wir das Ressourcen-Budget der Natur für ein ganzes Jahr aufgebraucht haben. Ein Armutszeugnis und eine Schande für uns alle, so das Urteil des katholischen Hilfswerks für Entwicklungszusammenarbeit Misereor. Was genau markiert dieser Welterschöpfungstag?

Monsignore Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer Misereor): Der Welterschöpfungstag ist der Moment im Jahr, an dem der Verbrauch von Ressourcen die Kapazität der Erde übersteigt, diese Ressourcen zu erneuern. Oder man könnte auch sagen, dass die Nachfrage nach Ressourcen die Reproduktion und das Angebot neuer Ressourcen übersteigt. Und dieser Tag ist heute am 29. Juli.

DOMRADIO.DE: Welche Faktoren führen denn dazu?

Spiegel: Wir können allgemein sagen, dass die Menschheit zu viel Rohstoffe verbraucht. Sie zerstört zu viel Natur, wobei das nicht für alle gilt. Wir wissen, dass wir diese Ressourcen sehr ungleichmäßig verbrauchen. Ich erinnere an Papst Franziskus, der in der Enzyklika "Laudato si" sagt, dass die ökologischen Ressourcen gemeinschaftliche Güter sind, diese aber sehr unterschiedlich verbraucht werden.

Ein Beispiel: Wir in Deutschland importieren jedes Jahr Millionen Tonnen von Soja vor allem als Tierfutter. Dieser Import von Soja bedeutet Zerstörung oder Verbrauchen von Ackerland im Ausland. Es werden viele Quadratkilometer im Regenwald vernichtet. Mit diesem Import produzieren wir Milchprodukte und Tonnen von Fleisch, die wiederum exportiert werden. Sie sehen also den Zusammenhang.

Wir verbrauchen als deutsche Bevölkerung doppelt so viel Rohstoffe wie der Weltdurchschnitt. Und diese Übernutzung der natürlichen Ressourcen zerstört einmal unsere Schöpfung, raubt Menschen Lebenschancen im Regenwald oder den Fischern an der afrikanischen Küste. Faktoren für die Weltüberlastung sind der Wirtschaftsstil und der Produktions- und Konsumstil, den wir haben.

DOMRADIO.DE: Nun ist der Welterschöpfungstag 2019 noch früher als bisher. 1990 fiel er noch auf den 7. Dezember. Heute ist er bereits vier Monate früher erreicht. Der Tag rückt immer weiter nach vorne. Warum ist das so?

Spiegel: 1970 hat die Menschheit diese kritische Grenze überschritten, dass wir mehr nachfragen, als es ein Angebot von neuen Ressourcen gibt. Dieser Tag ist nicht glorios, weil wir um die Zusammenhänge und die Fakten wissen. Dennoch halten wir fest an Lebensstilen und Wirtschaftsmodellen. Irgendwie meinen wir immer noch, wir könnten das technisch alles in den Griff bekommen, um so weiterzumachen wie bisher.

Bei Misereor sind wir der Meinung, dass das so ist, weil besonders die Politik von den Interessen derer bestimmt wird, denen es kurzfristig um Verdienst geht. Da sind wir sehr nahe an der Analyse von Papst Franziskus in der Enzyklika "Laudato si". So scheint die Politik gelähmt zu sein und nur schleppend umsteuern zu können. Gerade in diesen Monaten wird das durch die Fridays-For-Future-Bewegungen der Jugendlichen sehr deutlich.

DOMRADIO.DE: Sie haben es angesprochen: Wir halten gerne an unserem Lebensstil fest. Auf der anderen Seite kritisieren wir andere Länder für ihren Umgang wie zum Beispiel Brasilien mit der Abholzung des Regenwaldes. Ist das nicht auch eine Form von Doppelmoral?

Spiegel: Ja. Wir können bei der Nutzung der Ressourcen nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern wir sind selbst gefragt. Das ist auch Ergebnis der 17 Nachhaltigkeitsziele, die 2015 verabschiedet wurden. Dieser Erdüberlastungstag liegt übrigens allein für Deutschland bereits am 3. Mai. Das macht sehr deutlich, dass die Übernutzung der Ressourcen bei uns eine größere Herausforderung ist als in anderen Ländern. Somit sind nicht nur andere gefragt, sondern wir alle.

Heute Nacht habe ich von einem Bischof aus dem Norden Äthiopiens eine Mail erhalten. Er sagt, wir müssen einen systemischen Wandel herbeiführen. Ein großes Wort: Wandel des Systems. Er sagt, alle Nichtregierungs-, Regierungs- und Glaubensorganisationen, Privatunternehmen, Schulen und Universitäten - alle müssen daran arbeiten, dass sich die Mentalität ändert. Ich finde das sehr schön und gut ausgedrückt. Er unterstreicht am Ende seines Schreibens an mich, dass besonders die wohlhabenden Nationen ihre Praktiken ändern müssten, damit diese Allgemeingemeingüter oder ökologischen Ressourcen allen Menschen zur Verfügung stehen.

DOMRADIO.DE: Wie kann denn so ein systemischer Wandel nun konkret aussehen?

Spiegel: Bei Misereor sind wir der Meinung, dass dies kein Erkenntnisproblem ist, sondern ein Umsetzungs-, Gerechtigkeits- und Glaubwürdigkeitsproblem ist. Wir sind davon überzeugt, dass jeder Einzelne und jeder Einzelne als Verbraucher und Konsument gefragt ist - die Kultur des Maßhaltens als Stichwort. Wir kennen Ansätze wie die Nachhaltigkeitsstrategie "Laudato si" oder das Pariser Klimaabkommen.

Aber ganz konkret: Wir sollten darüber reden, die gesamten ökologischen und sozialen Kosten in den Preisen auszudrücken. Beispielsweise sollte die Aufbereitung von mit Nitrat belastetem Grundwasser, aus dem wir unser Trinkwasser gewinnen, den Verursachern in Rechnung gestellt werden. Ein anderes Beispiel: Das deutsche Schienennetz wurde in den letzten 25 Jahren verkleinert, während das Straßennetz um über 100.000 Kilometer ausgebaut wurde.

Es sind viele Bereiche, die wir ganz konkret ansprechen können und die auch immer wieder in der Politik, in der Presse und in den verschiedenen Parlamenten immer wieder Thema sind. Da denke ich, beginnt dieser Mentalitätswandel. Aber eben nicht nur in der Theorie, sondern in der Umsetzung.

Das Interview führte Moritz Dege.


Statt weniger fliegen die Menschen immer mehr / ©  Federico Gambarini (dpa)
Statt weniger fliegen die Menschen immer mehr / © Federico Gambarini ( dpa )
Quelle:
DR