Andreas Westerfellhaus ist richtig sauer. Dass Union und SPD sich nicht auf eine Reform der Pflegeausbildung einigen können, sei "desaströs und schreit zum Himmel", schimpft der Präsident des Deutschen Pflegerats im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Alles liege auf dem Tisch: "Doch die Abgeordneten ducken sich weg und beugen sich dem Druck von Interessengruppen."
Westerfellhaus steht nicht allein: Vergangene Woche mahnte auch der Bundesrat das Parlament, die "dringend erforderliche" Reform der Pflegeausbildung zu beschließen. Und Frank Weidner, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung in Köln, unterstreicht, die Reform sei "die letzte Chance für die Altenpflege, europaweit anerkannt zu werden und in Deutschland an das Niveau der Krankenpflege anzuschließen".
Projekt stockt
Doch das Projekt, das einst als großer Wurf angekündigt war und den Pflegenotstand beenden soll, stockt. Beim Koalitionsausschuss vergangene Woche gelangte das Thema erst gar nicht auf die Tagesordnung. Und langsam wird es eng. "Wenn der Gesetzentwurf in den drei Bundestagswochen bis Ende März nicht durchgeht, ist das Projekt für diese Legislaturperiode gescheitert", verweist Westerfellhaus auf ein enger werdendes Zeitfenster bis zur Bundestagswahl. Mit dieser Hängepartie verunsichere die Politik sowohl die Pflegeeinrichtungen als auch alle, die einen Pflegeberuf ergreifen wollten.
Schon vor einem Jahr hatten Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) den Gesetzentwurf durchs Kabinett gebracht, der eine Zusammenlegung der Ausbildungen in Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege vorsieht. Im vergangenen März befasste sich der Bundestag in Erster Lesung mit dem Projekt.
Doch seitdem liegt es auf Eis; Vermittlungsversuche auf höchster Ebene scheiterten.
Die neue Pflegeausbildung soll nach den Vorstellungen Gröhes drei Jahre dauern. Die künftigen "Pflegefachfrauen" und "Pflegefachmänner" sollen kein Schulgeld mehr zahlen müssen. Außerdem vorgesehen ist die Einführung einer dreijährigen Pflegeausbildung an Hochschulen.
Bis 2030 wird die Zahl der Pflegebedürftigen um die Hälfte auf knapp 3,5 Millionen Menschen steigen, 2050 werden es bereits 4,5 Millionen sein. Schon heute fehlt qualifiziertes Personal in Krankenhäusern und Heimen: Allein in der Altenpflege wird der Mangel auf rund 30.000 geschätzt. Im Schuljahr 2013/2014 absolvierten insgesamt 133.000 Auszubildende eine der drei derzeitigen Ausbildungszweige, 62.000 davon in der Altenpflege und 6.000 in der Kinderkrankenpflege.
Druck auf die Altenpflege könnte steigen
Befürworter erhoffen sich von der Zusammenlegung der Ausbildungen, dass die Pflegeberufe attraktiver und Berufswechsel innerhalb der Branche erleichtert werden. Zudem verweisen sie darauf, dass sich die Aufgabengebiete immer stärker überlappen: Pflegekräfte im Krankenhaus müssen häufiger mit Demenzkranken umgehen, ihre Kollegen in Altenheimen brauchen verstärkt krankenpflegerische Kompetenzen. Der Pflegebeauftragte der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann (CDU) nennt daneben auch einen politischen Grund: Er verspricht sich von einem gemeinsamen Berufsbild, dass die Pflegeberufe eine stärkere Stimme im Gesundheitssystem erhalten.
Was den Kritikern nicht schmeckt: Der Druck auf die Altenpflege dürfte steigen, bessere Gehälter zu zahlen, damit Pflegende nicht ins Krankenhaus abwandern. Die Gegner argumentieren zudem, dass eine generalistische Ausbildung zu einer Verflachung der Ausbildungsinhalte führen könnte. In der Altenpflege sorgt man sich aber zugleich, die neue Ausbildung könnte so anspruchsvoll werden, dass Schüler mit Hauptschulabschluss überfordert wären.
Immer wieder werden Kompromissvorschläge vorgelegt: So sprach sich der CDU-Fraktionsvize Georg Nüßlein am Freitag in der "Welt" erneut dafür aus, eine zweijährige allgemeine Ausbildung mit einem weiteren Jahr Spezialisierung zu verknüpfen. Die beiden zuständigen Minister haben das bereits klar abgelehnt.