Das erste Mal war ein großes Ereignis: Am 12. Juli 1992 wurde in Hamburg ein evangelischer Aids-Gottesdienst gefeiert.
Prominenter Gast war die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). Die Stimmung war angespannt. Aids galt als Krankheit von Homosexuellen, Drogensüchtigen und Prostituierten - nicht die üblichen Kirchenbesucher. Der Gottesdienst fand in der Hauptkirche St. Katharinen statt. Andere Gemeinden hatten das nicht gewollt. Es sang der "Schwule Chor Hamburg". Das Motto war "Celebrate your life".
"Wir gehören dazu"
Mittlerweile werden Aids-Gottesdienste regelmäßig in der St. Georg-Kirche am Hauptbahnhof gefeiert, im März war es der 275. Gottesdienst. Seit 2004 leitet sie Detlev Gause, Pastor der Aids-Seelsorge des Evangelisch-lutherischen Kirchenkreisverbandes Hamburg. Sein Vorgänger Rainer Jarchow, der seit seiner Verpartnerung den Namen Ehlers trägt, hatte 1994 als bundesweit erster Aids-Pastor seine Arbeit in Hamburg aufgenommen.
Gauses Themen orientieren sich an dem, was HIV-Positive und Aidskranke bewegt, zum Beispiel: "Werde ich noch einen Partner finden?" Drei besondere Elemente gehören zum Gottesdienst: Jedes Mal berichtet jemand aus seinem Leben, die Fürbitten schreiben die Besucher während des Gottesdienstes auf kleine Zettel - und alle feiern zusammen Abendmahl. Der Wein wird aus einem Gemeinschaftskelch getrunken. "Da fühlen gerade die Betroffenen: Wir gehören dazu", sagt Gause. Im Alltag sei das oft anders, da viele Menschen nicht wüssten, wie HIV eigentlich übertragen werde - und wie nicht.
Normale Lebenserwartung
Auch medizinisch hat sich vieles verändert. Vor 25 Jahren glich eine Aids-Diagnose einem Todesurteil. Die Erkrankten starben innerhalb weniger Jahre. 1996 kamen die ersten wirksamen Medikamente auf den Markt, mussten aber alle paar Stunden geschluckt werden und schränkten das Leben sehr ein. Heute reichen ein oder zwei Tabletten pro Tag, damit Erkrankte auf eine normale Lebenserwartung hoffen können.
Als die akute Todesgefahr zurückging, verschwand das Thema auch aus den Medien. Es führt aber auch dazu, dass die Gesellschaft sehr wenig über den HI-Virus und Aids weiß - und erst recht ausgrenzt.
Aidsseelsorge und Aids-Pastor
"Früher gab es die Haltung: Ich muss bald sterben, da kann ich es auch sagen. Heute reden viele nicht mehr über HIV", sagt Gause. "Man lässt die Leute damit vereinsamen."
Auch an den Gottesdienstbesuchern merkt er das. Zu Anfang kamen 200 bis 300, jetzt sind es nur noch 50 bis 80. Dabei müsste die Zahl der Menschen mit HIV und Aids größer geworden sein, seit die Betroffenen länger leben. Das größte Risiko, sich mit dem HI-Virus zu infizieren, haben nach wie vor homosexuelle Männer. Die Aidsseelsorge ist darum besonders wichtig für sie. "Sie hat einen guten Namen in der Szene", sagt Gause: "Als Aids-Pastor gehen mir überall die Türen auf."