DOMRADIO.DE: Sie befassen sich auch mit der Geschichten von Worten - wie sieht denn die des "Freundes" aus, woraus hat das Wort sich entwickelt?
Lutz Kuntzsch: Der "Freund" hat eine ganz interessante Wortgeschichte. Das Wort leitet sich vom mittelhochdeutschen "Vriunt" ab, also mit V. Sie hören schon die Ähnlichkeit, ob es genauso ausgesprochen wurde, wissen wir nicht. Das Wort ist sogar im Althochdeutschen belegt, also noch ein paar Jahrhunderte früher, und zwar eigentlich in der Bedeutung von "der Liebende", was den ein oder anderen wundern wird.
Das hat also auch damit zu tun, wie eng ich denjenigen an mich ranlasse und was ich genau darunter verstehe. Außerdem zeigt der Blick ins Wörterbuch, dass es eine noch ältere gotische Form gibt – nämlich "Vrion" in der Bedeutung von der "Liebe". Und wenn es uns nicht so leicht fällt, den "Lieben" einzuordnen: Tatsächlich war einer gemeint, der in einer Gemeinschaft beliebt, geliebt und erwünscht war. Zu dieser Gruppe gehörte er und das hat sich ja bis heute so erhalten.
DOMRADIO.DE: Ist das denn auch heute noch die korrekte Bedeutung von "Freund" oder hat sich da etwas verändert?
Kuntzsch: Wenn wir heute im Wörterbuch - analog oder digital - nach dem "Freund" suchen, finden wir folgende Bedeutungen: Zunächst eine männliche Person, die mit anderen in einer Freundschaft lebt. Es kann auch heutzutage das Zusammenleben von Frau und Mann und allen Varianten bedeuten. Das können wir dann mit einem Zusatz präzisieren, wenn wir beispielsweise sagen "Darf ich vorstellen - mein Freund" oder "Darf ich vorstellen - ein Freund von mir".
Wenn ich einfach sage: "Das ist mein Freund" ist nicht automatisch klar, wie eng die Beziehung tatsächlich ist. Ich möchte aber nicht unerwähnt lassen, dass Freund auch in Kontexten wie "ein Freund guter Musik" oder im Sinne von Förderer "die Freunde des Theaters" benutzt wird. Außerdem kann ein "Freund" ein Gesinnungsgenosse sein - "ein Freund dieser politischen Richtung". Oder ein "Kamerad" – und da sind wir auch schon bei den anderen Begriffen Oder der "Freund" ist kumpelhaft gemeint, wo die Bedeutung dann aufgeweicht ist – wie zum Beispiel in "Wie geht’s alter Freund?".
DOMRADIO.DE: Sie haben das schon angedeutet - es gibt noch eine Reihe von bedeutungsähnlichen Worten, die sich um den Freund herum gruppieren. Lassen Sie uns doch mal die Unterschiede abstecken. Was steckt denn drin im Bekannten?
Kuntzsch: Ich stelle mir das immer in Kreisen vor. Der "Bekannte" ist relativ einfach nachzuvollziehen, weil das natürlich der ist, den du von irgendwoher kennst. Der Kreis der "Bekannten" ist der große Kreis. "Bekannte" haben wir viele, Kameraden von früher vielleicht oder vom Sport; "Freunde" dagegen eher wenige, ich selbst bin da ziemlich wählerisch, andere dagegen nicht.
Jeder "Freund" ist natürlich auch ein "Bekannter", schließlich hat sich die Beziehung irgendwie aufgebaut. Umgekehrt ist bei weitem nicht jeder "Bekannte" ein "Freund". Das kann sich auch verändern, dass wir etwa einen "Freund" hatten, der uns enttäuscht hat und der dann bloß noch ein "Bekannter" ist. Das passiert ja nun auch.
DOMRADIO.DE: Dann sind da ja zum Beispiel auch noch der "Kamerad" und der "Kumpel". Was fällt Ihnen dazu ein?
Kuntzsch: Ein "Kumpel" suggeriert eine lockere Beziehung. Das sagen wir einfach so daher: "Ach, das ist ein guter Kumpel"; das ist salopp und liegt auf der Ebene von Kamerad. Den "Kameraden" habe ich mal nachgeschlagen: der bezeichnet tatsächlich einen, der mit mir in der Kammer war, also gemeinsame Zeit in einem Raum oder Zimmer verbracht hat; "Kamerad" verwenden wir in Bereichen wie Sport oder Armee.
Der "Schulkamerad" sagen wir auch; mit dem haben wir ja ganz ausdrücklich in einer Kammer, im Klassenzimmer nämlich, zusammen gesessen. Die Abstufungen sind also: im großen Kreis "Bekannte", dann im mittleren "Kameraden" und "Freunde" im ganz engen Kreis.
DOMRADIO.DE: Außerdem dürfen wir eine Wortneuschöpfung der vergangen Jahre nicht kommentarlos übergehen - den Facebook-Freund... Nachdem, was Sie gerade erklärt haben, müssten wir eigentlich von "Facebook-Bekannten" sprechen, oder?
Kuntzsch: Ja, oder von "Facebook-Kameraden". Sprache entwickelt sich ja. Bei den "Facebook-Freunden" ist es so, dass jeder weiß, dass das keine echten "Freunde" sind. Warum also sagen wir nicht "Facebook-Kamerad" oder "Facebook-Kumpel"? Das wäre sinngemäß in vielen Fällen sicher angemessen, ist aber einfach viel zu lang. "Facebook-Freund" ist kürzer und mit den beiden F eine Alliteration, das setzt sich dann durch. Damit müssen wir dann leben. Noch steht der "Facebook-Freund" nicht im Wörterbuch, aber irgendwann kommt er als eine Art Bekannter darein
Das Gespräch führte Heike Sicconi.