KNA: Bruder Paulus, wieviele Obdachlose nutzen täglich das Angebot des Franziskustreffs?
Bruder Paulus (Leiter des Kapuzinerklosters an der Liebfrauenkirche und Vorstand der Franziskustreff-Stiftung): 140 bis 160 Gäste kommen jeden Tag von Montag bis Samstag. Es gibt einen Brunch von 7.45 bis 11.15 Uhr.
KNA: Gibt es eine Besonderheit dieser Armenspeisung?
Bruder Paulus: Die Obdachlosen werden von Ehrenamtlichen am Tisch bedient. Wir haben insgesamt 51 Ehrenamtliche aller Religionen und Weltanschauungen - und inzwischen fünf Hauptamtliche: Den Leiter des Franziskustreffs, Bruder Michael Wies, eine Sozialpädagogin, zwei hauswirtschaftliche Vollkräfte und eine hauswirtschaftliche halbe Kraft, manchmal noch einen "Bufdi" dazu. Jeden Tag sind etwa sieben Leute in der Schicht.
KNA: Kommen inzwischen auch Leute aus der Mittelschicht, die in die Obdachlosigkeit abgerutscht sind?
Bruder Paulus: Das können wir gar nicht so sagen, weil wir die Leute gar nicht fragen. Niemand muss bei uns seinen Namen sagen. Niemand muss begründen, warum er zu uns zum Frühstück kommt. Jeder muss aber 50 Cent mitbringen und auf den Tisch legen.
KNA: Welchen Aufwand haben Sie tatsächlich für das Frühstück?
Bruder Paulus: Ein Frühstück kostet uns pro Person insgesamt 4,80 Euro. Pro Jahr ist eine Summe von rund 300.000 Euro nötig. Der Franziskustreff finanziert sich aus Spendenmitteln. Wir haben inzwischen 1.800 Wohltäter, die sich da engagieren.
KNA: Hat sich die Klientel des Franziskustreffs im Laufe der Jahre verändert?
Bruder Paulus: Zunehmend gibt es Menschen, die psychisch krank sind und die Innenstadt als ihr "Wohnzimmer" aufsuchen; die den Rhythmus der Stadt brauchen, um selber im Rhythmus zu bleiben. Das betrifft etwa die Hälfte der Obdachlosen, die zu uns kommen.
KNA: Gibt es auch viele Alkoholiker?
Bruder Paulus: Was viele nicht wissen: Kaum ein Obdachloser ist Alkoholiker. Denn du musst als Obdachloser immer schön in Habachtstellung sein, damit deine Sachen nicht geklaut werden. Betrunken auf der Straße sitzend funktioniert das nicht.
KNA: Was sehen Sie in Obdachlosen?
Bruder Paulus: Obdachlose sind für mich Botschafter, die uns an das erinnern, was wir selber fürchten und uns auch schnell geschehen kann. Und so versuchen wir, auch unsere Gäste zu ehren: Sie sind für uns eigentlich Botschafter eines Lebens, das unsicher ist. Jedes Leben ist unsicher. Das wollen nur viele Menschen in ihrem Versicherungswahn irgendwie außer Kraft setzen.
KNA: Sind Obdachlose meist Opfer widriger Umstände oder manchmal auch selbst schuld?
Bruder Paulus: Wer obdachlos ist, hat jedenfalls eine Wahl getroffen - auch wenn er in seinen Wahlmöglichkeiten vielleicht eingeschränkt war. Zum Beispiel, wenn jemand sagt: Ich habe große Schulden als Ingenieur wegen eines Fehlers bei einem Hausbau; meine Frau ist weggegangen, weil sie sich das Leben mit mir anders vorgestellt hat, meine Freunde haben mich auch verlassen. Ich werde das Leben lang nur maximal 1.200 Euro haben pro Monat, weil alles andere gepfändet wird.
Und daher wähle ich, dass ich gar nichts mehr mache.
KNA: Wie stärken Sie solche Menschen in ihrem Selbstbewusstsein?
Bruder Paulus: Erstens durch die künstlerische Gestaltung des Gastraumes. Dann durch unser Prinzip: Liebe braucht Ordnung. Wir lieben jeden gerne, nur nicht so, wie er will. Und wir sagen: Die Liebe hat zwei Geschwister: die Wahrheit und die Gerechtigkeit.
KNA: Wie sieht das dann konkret aus?
Bruder Paulus: Wir wollen uns vom Kindchen-Schema nicht in die Irre führen lassen, wenn jemand klagt: "Ich bin ja so klein und so arm, deshalb musst Du mir jetzt helfen!" Dann fragen wir: "Wollen Sie wirklich so mit mir sprechen?"
KNA: Als der Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) Ihnen im Februar die Ehrenplakette der Stadt verlieh, sagte er, die Franziskustreff-Stiftung sei für die Stadt "unverzichtbar" geworden.
Das ist ein großes Lob, macht aber in einer reichen Stadt wie Frankfurt auch nachdenklich...
Bruder Paulus: Darum feiern wir unser Jubiläum auch nicht so, dass wir uns selbst feiern. Da kann man ja eigentlich nicht glücklich drüber sein, dass es uns seit 25 Jahren geben muss. Aber zugleich ist es so, dass letztlich jede Gesellschaft eben ihre Armen hat - und man sich um sie kümmern muss.
Das Interview führte Norbert Demuth.