Schweizer Soziologe Jean Ziegler wird 85 Jahre alt

Passionierter Provokateur

Jean Ziegler kämpft für hungernde Kinder und gegen den Kapitalismus. Seine Anhänger lieben seine harten Urteile, Kritiker werfen ihm intellektuelle Schnellschüsse vor. An Karfreitag wird der Schweizer 85 Jahre alt.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
Jean Ziegler / © Herbert Neubauer (dpa)
Jean Ziegler / © Herbert Neubauer ( dpa )

Ja, der Che Guevara. Fällt der Name des sozialistischen Revolutionärs, dann lebt Jean Ziegler auf. Sofort erzählt er eine Geschichte aus dem Jahr 1964. Damals besuchte Che als Industrieminister Kubas eine Konferenz bei den Vereinten Nationen in Genf.

"Ich bewunderte Che und wollte mit ihm den globalen Umsturz organisieren", erinnert sich Ziegler. Doch Che (damals 35) fand es besser, dass Ziegler (damals 30) im Bankenland Schweiz bleibt. "Er sagte, ich könnte im Gehirn des Monsters mehr ausrichten", erzählt Ziegler und lacht verschmitzt.

Kampf gegen den Kapitalismus als Lebensaufgabe

Seitdem ist der Kampf gegen den Kapitalismus Jean Zieglers Lebensaufgabe. An Karfreitag wird der Genfer Soziologe, Bestsellerautor, Selbstdarsteller und UN-Funktionär 85 Jahre alt.

Ziegler ist wohl einer der bekanntesten Eidgenossen. Seine Enthüllungsbücher werden in Deutschland, den USA und selbst in Korea verkauft.

Seine Landsleute bringt Ziegler mit seinen Schriften immer wieder zum Kochen. In einem seiner erfolgreichsten Bücher, "Die Schweiz wäscht weißer", geißelte er schon vor knapp 30 Jahren die eidgenössischen Banken als "Finanzdrehscheibe des internationalen Verbrechens". In seinem Ende der 1990er Jahre erschienen Buch "Die Schweiz, das Gold und die Toten" stellt Ziegler klar: "Hitler war ein Traumkunde für unsere Banken".

Das Schweizer Establishment reagierte zunächst nur genervt auf den "Nestbeschmutzer". Später gerät Ziegler selbst ins Visier: Einige beschuldigen ihn, er schiele vor allem auf die Auflage, rühre Halbwahrheiten und die Auswüchse seiner Fantasie gewieft zusammen.

Dennoch: Ziegler half mit, die Legende von der unschuldigen Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu zertrümmern. In den vergangenen Jahren wendete er sich bewaffneten Konflikten, den Finanzkrisen und den multinationalen Konzernen zu. Dabei setzt der linke Wissenschaftler weiter auf Provokation: "Kapitalistische Profitgier zerstört die Umwelt, vergiftet Böden, Flüsse und Meere, beschädigt das Klima" schreibt Ziegler.

UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung

Als UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung verglich er israelische Soldaten im Gazastreifen mit "KZ-Wärtern der Nazis". Finanzmanager will Ziegler wegen "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor Gericht sehen: "Ein Nürnberger Tribunal soll die Gauner verurteilen."

Auch Ziegler weiß: Solche Forderungen kommen nicht durch. Aber die Medien greifen sie gerne auf. So gibt der Schweizer weiter Interviews, er schreibt Bücher im Rhythmus von zwei bis drei Jahren.

Eines seiner letzten Werke trug den aufrüttelnden Titel: "Wir lassen sie verhungern". Darin schildert Ziegler seinen Kampf als UN-Sonderberichterstatter. "Wir leben in einer barbarischen Weltordnung", resümiert er. "Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind. Das ist Massenmord." Es sind genau diese zugespitzten Urteile, die Zieglers Anhänger so lieben.

Der Sohn eines Richters und Armeeobersten wird am 19. April 1934 in Thun, Kanton Bern, geboren und nach seinem Vater auf den Namen Hans getauft. Nach dem Abitur kehrt er dem bürgerlich-protestantischem Elternhaus den Rücken und geht nach Paris. Inspiriert von nächtelangen Diskussionen in kommunistischen Zirkeln und Begegnungen mit dem Philosophen Jean-Paul Sartre zieht es ihn in die Ferne. Ziegler geht als UN-Sonderbeauftragter in den Kongo-Krieg, wo er sich im Angesicht niedergemetzelter Kinder schwört, "nie mehr - nicht einmal mehr zufällig - auf der Seite der Henker zu stehen".

Dann wechselt Ziegler das Studienfach, die Sprache, die politische Couleur und sogar den Namen: Von der Jurisprudenz zur Soziologie, vom Deutschen zum Französischen, vom Gemäßigten zum Sozialisten - und von Hans zu Jean. Als Genfer Uni-Professor prägte er das Denken Tausender Studenten. In seinem neuesten Buch wendet er sich an die nächste Generation. Er erklärt seiner Enkelin in einem Gespräch, warum der Kapitalismus "so schlimm" ist.


Kuba ehrt Che Guevara zum 50. Todestag  / © Desmond Boylan (dpa)
Kuba ehrt Che Guevara zum 50. Todestag / © Desmond Boylan ( dpa )

UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
UN-Vollversammlung / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
epd