DOMRADIO.DE: So eine Geburt vor 2000 Jahren lief wahrscheinlich ein bisschen anders ab als heute.
Prof. Dr. Eva Labouvie (Lehrstuhlinhaberin an der Fakultät für Humanwissenschaften, Bereich für Geschichte, Universität Magdeburg): Man kann das nur vermuten, weil Quellen von vor 2000 Jahren natürlich nicht existieren. Dafür haben wir aber mittelalterliche Quellen - klassisch-römisch-griechische Quellen - die darauf hinweisen, dass Geburten immer Frauensache waren, das heißt, dass sie in der Frauengemeinschaft abliefen, die eine Not-, Hilfs-, und Festgemeinschaft um die Geburt bildete.
Wir haben auch Hinweise darauf, dass zur Geburt Jesu von Josef auch Frauen gerufen wurden. Das heißt, die alte Tradition dieses Frauen-Rituals scheint hier auch überliefert zu sein. Die Frauen waren diejenigen, die Geburtshelferinnen waren, die aber auch die Frau gestützt haben bei der Geburt. Und nur in ganz seltenen Fällen - vielleicht in diesem Fall in der Krippe, wie das jetzt bei Jesus der Fall war - waren die Männer dabei und mussten natürlich auch mithelfen. Ansonsten wissen wir ganz wenig darüber, wie es in ganz früher Zeit war. Die Hinweise für die Neuzeit gehen dahin, dass erst in unserer Zeit, im 20. Jahrhundert, die Geburt letztlich eine Klinikgeburt wird und damit aus diesem Fest- und Hilfskreis der Frauen hinausfällt.
DOMRADIO.DE: Das heißt dann aber auch: Bis der Vater bei der Geburt eine Rolle spielt, wird nochmal ein ganz schöner historischer Sprung gemacht werden müssen?
Labouvie: Wir sind dann schon im 16. Jahrhundert. Vor allem ist es dann natürlich die Rolle des Mannes, zu helfen, wenn niemand sonst da ist. Das ist ganz klar, dass dann die Frau unterstützt werden musste. Im Falle Josef wird das sicherlich auch so gewesen sein.
Auf jeden Fall haben wir eine Beteiligung indirekter Art des Mannes. Er hat vor allem Holz, Wasser, Wein und so weiter beschafft, dann auch später die Geburt beim Pfarrer gemeldet. Das war ein ganz wichtiger Auftrag. Allerdings gibt es auch noch ein sogenanntes Männerkindbett, die sogenannte Couvade, wo der Mann sich ins Bett legt und so tut, als würde er gebären, um Dämonen oder böse Geister von der gebärenden Frau abzuleiten. Das gab es noch sehr verbreitet im schweizerischen, österreichischen und auch im deutschen Raum.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns auf die Geburtshelfer oder die Hebammen schauen. Das hat es ja damals so institutionalisiert nicht gegeben. Heute spielt das eine große Rolle. Die Kirche hat ja auch lange Zeit ein kritisches Auge auf das Thema Geburtshelfer geworfen. Warum das denn?
Labouvie: Die Hebammen waren Frauen, die natürlich die Nottaufe leisten mussten. Das heißt, sie hatten geistliche Aufgaben zu erledigen. Deshalb hat die Kirche natürlich darauf geachtet, dass das vor allem Frauen mit einem guten Leumund waren, die dieses Zeremoniell auch richtig durchgeführt haben. Sonst war eine Nottaufe eben nicht gültig. Das heißt für das Seelenheil des Kindes, dass dieses nicht garantiert war. Insofern hat die Kirche natürlich eine besondere Rolle gespielt.
Aber die Kirche hat sich da auch reingezwängt und wollte die Hebammen selbst einsetzen. Das haben die Frauen aber verhindert. Ich habe sehr, sehr viele Quellen gefunden, dass die Einsetzung in dieses Hebammenamt durch die Frauen per Wahl geschehen ist. Die Kirche hat versucht, sich da einzumischen. Und dann hat sie natürlich auch versucht, gegen abergläubische und magische Formen, die immer eine Rolle bei Geburten gespielt haben, vorzugehen. Denn solche Praktiken waren natürlich gegen den Glauben der Kirche.
DOMRADIO.DE: Heute ist die Geburt mit hoher Sicherheit, mit Hygiene verbunden. Es gibt Geburtswannen und Familienzimmer. Ein Drittel der Geburten findet per Kaiserschnitt statt. Früher war das ein bisschen anders. Was hat denn so eine Geburt früher für eine Familie bedeutet?
Labouvie: Das Erste war, dass Gott die Menschen beauftragt hat, zu gebären, Kinder in die Welt zu setzen. Seid fruchtbar und mehret euch, heißt es ja. Gott segnet die Menschen mit Kindern. Deswegen spricht man auch von Kindersegen. Keine Kinder zu bekommen, war in früheren Zeiten auf jeden Fall ein Unglück. Eines, was man sich nicht selbst ausgesucht hat wie heute. Heute kann ich meistens entscheiden: Möchte ich Kinder oder nicht?
Die Familie ohne Kinder hatte damals keine Existenzsicherung. Man hat natürlich die Kinder gebraucht, um mitzuarbeiten, die Existenz zu erwirtschaften. Und dann waren sie natürlich auch eine Altersversicherung. Kinder zu haben bedeutete, im Alter nicht allein zu sein, im Alter versorgt zu sein, was natürlich für die Existenz einer Familie ganz wichtig war.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.