Die Nachricht vom Rückzug des Münchner Kardinals Reinhard Marx als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz war am Dienstag in Kirchenkreisen eingeschlagen wie eine Bombe. So gut wie niemand hatte damit gerechnet: Papst Franziskus, bei dem Marx noch vorige Woche als Chef des vatikanischen Wirtschaftsrates in Audienz war, wusste - so beteuert es Marx tags drauf - nichts davon.
Völlig überrascht waren auch fast all seine Mitbrüder im Bischofsamt. Und die Mitarbeiter im Bonner Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz fielen buchstäblich aus allen Wolken, als sie erfuhren, dass Marx den allgemeinen Erwartungen zum Trotz nicht mehr für den Vorsitz kandidieren will.
Mutmaßungen schossen ins Kraut
Sofort schossen Mutmaßungen ins Kraut, ob die wahren Ursachen für den Rückzug die von Marx genannten Altersgründe sein konnten. Sein Hinweis, dass er nach Ablauf einer weiteren Amtszeit 72 Jahre alt sein würde, schien wenig stichhaltig in einer Kirche, in der man mit 76 Jahren zum Papst gewählt wird.
In drei Richtungen gingen die Vermutungen. Die einen, darunter auch die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", spekulierten, der Unmut in der Konferenz über den als hemdsärmelig und autoritär empfundenen Führungsstil des ost-westfälischen Schmiedesohns sei so stark geworden, dass seine Wiederwahl gefährdet schien. Deshalb habe er vorsorglich den Rückzug angetreten, als er den schwindenden Rückhalt in den eigenen Reihen spürte.
Eine andere Mutmaßung richtete sich nach Rom, wo man ihm eine Berufung zu noch höheren Aufgaben unterstellte. Doch fehlte dafür jeglicher Anhaltspunkt. Wieder andere glaubten Anzeichen für eine angeschlagene körperliche Verfassung des bekanntermaßen nicht fitnessorientiert lebenden 66-Jährigen zu erkennen.
Spekulationen völlig aus der Luft gegriffen
Marx selbst nutzte eine am Mittwoch in Bonn anberaumte Pressekonferenz, bei der es eigentlich um die Vorstellung eines neuen Papst-Dokuments gehen sollte, um die Deutungshoheit für sich und seinen Entschluss zurückzugewinnen.
Alle bis dahin veröffentlichten Spekulationen seien völlig aus der Luft gegriffen, erklärte er. "Niemand hat mich zum Rückzug gedrängt!", so die klare Ansage, die auch aus Kreisen der Bischofskonferenz bestätigt wird. Die von einigen jüngeren Bischöfen vorgeschlagenen Änderungen in Ablauf und Führungsstil bei den Versammlungen der Bischofskonferenz habe er sogar unterstützt, erklärte Marx. Indirekt widersprach er damit den Gerüchten über einen sich abzeichnenden Aufstand gegen ihn, dem er mit dem Rückzug zuvorgekommen wäre.
Auch das jüngste Treffen mit Papst Franziskus oder das von manchen Reformern als mutlos empfundene jüngste Papst-Schreiben haben laut Selbstauskunft des Kardinals keine Rolle gespielt. Vielmehr sei ihm bereits im vergangenen Sommer klar geworden, dass er eine Entscheidung über die ihm noch verbleibende irdische Lebenszeit treffen müsse. Dies habe er mit ganz wenigen Vertrauten erörtert.
Dem Papst kann man nichts ausschlagen
Die Abwägung ging laut Marx so: Als Erzbischof von München und Freising und als wichtiger Berater des Papstes in Rom habe er so viel zu tun, dass er sich angesichts des fortschreitenden Alters von seiner zusätzlichen Aufgabe als Bischofskonferenz-Vorsitzender trennen sollte. Das Bischofsamt und die Aufgaben im Vatikan habe ihm der Papst verliehen, und dem könne man bekanntlich nichts ausschlagen.
Ein weiteres Argument sah er darin, dass die heutige Zeit häufigere Wechsel an der Spitze einer großen Organisation verlange. Amtszeiten von 12 oder gar 20 Jahren - wie bei seinem Vorvorgänger Karl Lehmann - seien nicht mehr zeitgemäß. Die Entscheidung stand also seit Monaten fest. Das kurze Schreiben an die Mitbrüder im Bischofsamt zum bevorstehenden Rückzug, das diese Woche verschickt wurde, sei bereits zu Weihnachten fertig gewesen, erklärte Marx.
Bleibt die Frage, warum er die Bischöfe und die Öffentlichkeit so lange über diesen Schritt im Unklaren ließ. Er habe sich dazu entschlossen, den Brief erst nach dem Start des großen Reformdialogs des Synodalen Wegs, der Ende Januar in Frankfurt begann, loszuschicken, so seine Antwort.
In dieser Überlegung zeigt sich das politische Gespür, das Marx auszeichnet. Auch eine so persönliche Entscheidung wie ein Rückzug aus Gründen der eigenen Lebensplanung muss jemand, der Verantwortung für ein größeres Ganzes trägt, so platzieren, dass er damit wichtige politische Prozesse nicht negativ beeinflusst. Für Marx war es vorrangig, dass der Synodale Weg einen guten Start hinlegen konnte und nicht überschattet wurde von Spekulationen um seinen Rückzug und um die Nachfolge. Das zu vermeiden ist ihm gelungen.