Ein Besuch in turbulenten Zeiten für die Kirche: Drei Tage kam der "zweite Mann" im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, nach Berlin, um ein Jubiläum zu würdigen. Es waren 100 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl. Das öffentliche Interesse an der Mittwochabend beendeten Visite richtete sich indes nicht auf diesen Anlass, der coronabedingt mit einjähriger Verspätung gefeiert wurde.
Mahnende Worte zu Reformen
Weit mehr Aufmerksamkeit erhielt das, was Parolin der Kirche in Deutschland mit auf ihren Synodalen Weg gab. Zu dem innerkirchlich umstrittenen Reformdialog über katholische Sexualmoral, priesterliche Lebensform sowie Macht und Gewaltenteilung und die Rolle von Frauen in der Kirche sprach er bei einem Gottesdienst in der Sankt-Johannes-Basilika mahnende Worte.
Parolin rief nachdrücklich dazu auf, "sich wieder auf eine Einheit zu besinnen, die nicht von der Zustimmung zu gemeinsamen Visionen und Orientierungen abhängt, wie in der Politik üblich, sondern von der theologisch-spirituellen Verwurzelung in Gott". Der Berliner Erzbischof Heiner Koch hörte aus der Predigt "die Sorge, dass sich die Kirche in Deutschland in manchen Punkten verliert", wie er anschließend auf Anfrage erklärte. Welche Empfehlungen Parolin seinen deutschen Amtsbrüdern konkret gab, blieb indes hinter verschlossenen Türen.
Predigt über Marx und Woelki?
Spekulation blieb auch, inwieweit er am Hochfest Peter und Paul seine Worte über die beiden Apostel auf die Kardinäle Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki münzte, die an dem Gottesdienst teilnahmen. Bei beiden Aposteln zeige sich "ein tiefgreifender Unterschied im Charakter, der auch zu angeregten Auseinandersetzungen führte", erinnerte Parolin. Gerade die "markanten Unterschiede" hätten jedoch eine noch tiefere Einheit zum Vorschein gebracht.
Sorge des Bundespräsidenten über Vertrauensverlust
Die Situation der Kirche kam auch bei den Treffen mit Spitzenvertretern des Staates zur Sprache. So habe Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Blick auf die aktuelle Debatte zum Umgang mit Missbrauchsfällen seine Sorge um den wachsenden Vertrauensverlust in die katholische Kirche zum Ausdruck gebracht, hieß es aus dem Bundespräsidialamt. Ob sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ähnlich äußerte, wurde nicht bekannt.
Ins gleiche Horn stieß indes Außenminister Heiko Maas (SPD) in der Apostolischen Nuntiatur bei einer Experten-Tagung über die Geschichte der beiderseitigen diplomatischen Beziehungen. Er rief die katholische Kirche zur weiteren Aufarbeitung der Fälle von sexuellem Missbrauch auf. "Nur durch Gerechtigkeit und Transparenz wird neues Vertrauen in die Kirche wachsen, das - wie ich auf meinen Reisen immer wieder erlebe - überall gesucht wird."
Historischer Rückblick
Bei der Tagung hob die Berliner Historikerin Birgit Aschmann hervor, dass es in der Weimarer Republik auch im deutschen Katholizismus "ein Übermaß an Wertschätzung von Autorität" gegeben habe. Dies habe dazu geführt, dass die Gefahr eines totalitären Systems wie des Nationalsozialismus zu spät erkannt und überdies sexueller Missbrauch begünstigt worden sei. "Der Synodale Weg ist ohne diese Vorgeschichte nicht zu verstehen", so Aschmann vor dem Gast aus dem Vatikan. Der Direktor des Zentralinstituts für Katholische Theologie der Humboldt-Universität, Georg Essen, rief die katholische Kirche auf, angesichts des Trends zu autoritären Demokratien den liberal-demokratischen Verfassungsstaat zu verteidigen.
Gute Beziehungen gewürdigt
Im Verhältnis zu Deutschland sehen die vatikanischen Spitzendiplomaten dafür - erwartungsgemäß - keinen Anlass. Nach Außenminister Maas und dem Botschafter des Papstes in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, würdigte auch Parolin "gute Beziehungen und eine fruchtbare Zusammenarbeit" zwischen Staat und Kirche. Davon machte sich der Kardinal bei einem Besuch der ökumenischen Bahnhofsmission im Berliner Ostbahnhof selbst ein Bild und sprach mit vielen dort Beschäftigten und hilfesuchenden Menschen. "Grüßen Sie den Heiligen Vater herzlich", gab ihm Berlins Caritasdirektorin Ulrike Kostka mit auf den Weg: "Und sagen Sie ihm: Frauen können in der Kirche viel leisten."