Durch die offenen Kirchentüren dringt der Gesang der Vesper ins Atrium. Letzte Sonnenstrahlen färben den Himmel. Mit dem leichten Abendwind senkt sich Ruhe über das Benediktinerkloster Tabgha am See Genezareth. Die letzten Tagesbesucher sind gegangen, die großen Metalltore zum Klostergelände geschlossen. Wer jetzt noch hier ist, gehört hierher: Temporär als Gast im Kloster, als Pilger im benachbarten Pilgerhaus hinter der Obstplantage oder als Teil der kleinen Mönchsgemeinschaft. Das Gotteslob dort zu feiern, wohin auch Jesus sich zum Gebet in die Einsamkeit zurückzog, ist für sie Geschenk und vornehmste Aufgabe zugleich.
"Mein Ort"
"Tabgha ist kein einfacher Ort, aber heute würde ich sagen: Es ist mein Ort", sagt Pater Basilius. Vor vier Jahren hat er als Prior die Leitung des Klosters übernommen – und Tabgha über die Zeit lieben gelernt. "Der Ort arbeitet mit einem", sagt der Rheinland-Pfälzer, der 2001 in der Dormitio angekommen ist, der deutschsprachigen Benediktinerabtei in Jerusalem.
"Wie Jesus in seiner Zeit in Obergaliläa sehr unmittelbar auf Menschen zugeht, ist auch Tabgha vordogmatisch. In einer Zeit, in der Religion so überhöht wird, ist mir das lieber". Jerusalem, so der Benediktiner, "ist mittlerweile sehr weit weg von mir".
Brüderliche Zuständigkeiten
Mit Pater Basilius zusammen, der seiner Suche nach Gott auch in Bildern und Skulpturen kreativen Ausdruck gibt, leben derzeit vier weitere Mönche in der Klostergemeinschaft am See: Pater Jonas ist für den Einkauf und die Betreuung der Gäste zuständig. Wenn es die anderen Aufgaben zulassen, steht der spätberufene Konditor aber auch gerne selbst in der Küche.
Bruder Franziskus ist, wenn er nicht in der Kirche für Ordnung sorgt, vor allem im Garten zu finden. Mit seinen 82 Jahren bringt sich auch Pater Zacharias noch aktiv ein: Jeden Morgen um 5.25 Uhr läutet er zur ersten Gebetszeit die Glocke – von Hand, denn das Geläut am See ist noch immer manuell. Abends dann sorgt er im Refektorium für Ordnung und einen gedeckten Tisch. Bruder Josef ist studienbedingt nur in den vorlesungsfreien Zeiten im Haus. Der sechste Mitbruder, Pater Matthias, hat die Oase am See am Palmsonntag verlassen, um in Jerusalem die Verantwortung des Priors zu übernehmen.
Herausforderung und Chance
Konditor, Künstler, Diözesanpriester: Sehr unterschiedliche Menschen mit ihren je eigenen Lebenswegen haben sich zum Leben in Tabgha zusammengefunden. Der Ort mit seinen Eigenheiten, sagen sie, ist Herausforderung und Chance zugleich. "Das Setting am See, ab vom Schuss, unterstützt die monastische Idee", formuliert es Pater Matthias. "Die Verbundenheit mit der Natur ist unmittelbar", sagt Pater Jonas.
Die Abgeschiedenheit macht auch für den Prior das Besondere des Ortes aus: "Wer hier lebt, ist auf sich selbst geworfen und wird mit Erkenntnis über sich selbst konfrontiert. Es ist das Paradies und zugleich der Baum der Erkenntnis." Wie besonders der Ort ist, merken die Mönche auch an den Reaktionen der anderen. Für den Prior sind sie "eine Erinnerung daran, dass es ein Geschenk ist, hier zu leben, denn im Alltag ist Tabgha der Ort, an dem ich lebe, vom ersten Gebet bis zum letzten Gebet, jeden Tag".
Post, Bäcker, Supermarkt
Bete und arbeite, der benediktinische Grundsatz prägt das Leben am See. "Das Morgenrot steigt höher schon, wie Morgenrot geh er uns auf", ertönt es schon um halb sechs im Hymnus des Morgengebets. Wenig später dann fallen tatsächlich die ersten Sonnenstrahlen des Tages durch die schmalen Fenster ins Oratorium. Wie der gesamte Klosterneubau strahlt auch die kleine Kapelle in ihrer Schlichtheit Ruhe aus. Es ist ein letztes Innehalten, dann beginnt die Geschäftigkeit des Arbeitstags.
Für Pater Jonas heißt das: Einkaufstag. Nach ungeschriebenen Regeln arbeitet sich der Benediktiner durch die Stationen. In Tiberias geht es zur Post, zum Bäcker und ein erstes Mal in den Supermarkt. Dann folgen ein Stopp beim Obst- und Gemüsehändler im arabischen Dorf Mughar und beim örtlichen Kaffeeröster.
"Mit aller Konsequenz"
Das Schweinefleisch und andere Kleinigkeiten werden auf dem Rückweg in einem zweiten Supermarkt gekauft. Dann eilt Pater Jonas zurück. Es ist Zeit für die Mittagshore, und in der Küche warten noch kistenweise Zwetschgen darauf, zu Marmelade verkocht zu werden.
Er sei "Priester, Mönch, Konditor und manchmal Koch", sagt Pater Jonas und lacht. Sein Lebenslauf vor Tabgha: Hauptschulabschluss und Konditorlehre, Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, Studium der Theologie und 19 Jahre priesterlicher Dienst in der Diözese Fulda. Bis er nach einem Sabbatjahr 2001 sein gesamtes Hab und Gut weggab und "mit aller Konsequenz" ins Heilige Land aufbrach. "Seither habe ich eine kontinuierlich gute Zeit und keinen Moment der Reue!"
"In Bewegung"
Gradlinig verlief auch der Weg von Pater Matthias nicht. "Kloster war eigentlich nie mein Plan, aber die Begegnung mit ihm hat etwas in mir in Bewegung gesetzt", sagt der Regensburger Diözesanpriester. Trotzdem brauchte er zwei Anläufe, bis ihm bewusst wurde, worauf er sich einlässt. "Der Wunsch zum Leben in Gemeinschaft reicht alleine nicht aus, man muss auch das monastische Leben mögen."
Nach einer ersten Zeit in der Dormitio von 2000 bis 2003 entschied sich Pater Matthias 2008 für den Wiedereintritt in die Gemeinschaft. Die Offenheit dafür liegt in der Regel des Ordensvaters selbst begründet: Bis zu dreimal gewährt der heilige Benedikt dem Mönch den Wiedereintritt. Und irgendwie passt sie zu Tabgha - jenem Ort, von dem seine Bewohner sagen, er sei "ein Ort des Kommens und des Gehens, des Geben und des Nehmen".
Zeit und Energie
Dieser Ort, sagt Prior Basilius, "ist so offen, dass er eine Botschaft ist in diese Welt". Die unendliche Weite, die Fragen nach dem Anfang und Ende der Welt haben ihn "schon immer gekitzelt".
Theologie, so der Benediktiner, ist dabei nur eine Weise, sich die Welt zu erschließen. Astrophysik ist die zweite Leidenschaft des Theologen. Auch wenn er die Bücher seines Physikstudiums schnell wieder zurückstellen musste – "Das Studium lässt sich mit dem Leben als Mönch nicht verbinden, beides braucht viel Zeit und Energie" – die Fragen hat Pater Basilius sich bewahrt. Sie nimmt er auch mit in sein künstlerisches Schaffen. "Meine Bilder sind die Auseinandersetzung mit dem, was mich beim Beten beschäftigt", sagt der Benediktiner, die Spannung etwa "zwischen dem Archaischen und dem Ordnenden in der Schöpfung".
"stabilitas loci"
In Tabgha fällt die Spannung des Tages ab, senkt sich einmal mehr Stille über das kleine Kloster am See. Die letzten Besucher des Tages sind gegangen, denn Tabgha ist ein Ort des Kommens und des Gehens. Nach vier Jahren ist das auch Realität für Pater Matthias, der zurück in das Mutterkloster geht. Der Austausch zwischen Dormitio und Tabgha zeugt von der Verbundenheit des Priorats mit der Abtei in Jerusalem.
Die "stabilitas loci", der Grundsatz der Ortsbeständigkeit, die die Benediktiner als Teil ihrer Lebensweise wählen: für die deutschsprachigen Benediktiner im Heiligen Land gilt sie für zwei Orte.