Brasiliens rechtspopulistischer Präsident Jair Messias Bolsonaro feiert die höchsten Beliebtheitswerte seit seinem Amtsantritt im Januar 2019. Laut einer aktuellen Umfrage geben 37 Prozent der Befragten dem Ex-Militär die Note "gut bis sehr gut". Für "schlecht" hielten ihn 34 Prozent - noch im Juni waren es 44 Prozent. Grund sind offenbar die derzeit großzügig von der Regierung verteilten Corona-Hilfen.
Die steigende Beliebtheit Bolsonaros überraschte die politischen Beobachter, die eigentlich im Kongress ein Amtsenthebungsverfahren aufziehen sahen. Denn Bolsonaro hatte es nicht nur versäumt, eine landesweite Strategie gegen die Pandemie vorzulegen. Er sabotierte sogar die Corona-Maßnahmen der Bürgermeister und Gouverneure. Das Ergebnis: Brasilien hat mit 3,3 Millionen Infizierten und 107.000 Toten die zweitschlechteste Corona-Bilanz nach den USA.
"Moralische Erstarrung"
Auch in Sachen Umwelt schaut die Welt - nicht zum ersten Mal - mit Sorge auf Brasilien. Bereits im vergangenen Sommer hatten die steigenden Abholzungszahlen am Amazonas international für Schlagzeilen gesorgt; jetzt steigen sie wohl nochmals um 30 Prozent. Auch die Brandrodungen, die im vergangenen Jahr zu diplomatischen Verstimmungen unter anderem mit Deutschland führten, haben weiter zugenommen. In Umweltfragen ist Brasilien zum Paria geworden.
Auch wenn die Welt über Bolsonaros Kurs, der die Zerstörungen offensichtlich bewusst zulässt, den Kopf schüttelt: die Brasilianer haben derzeit andere Probleme als die Umweltzerstörung. Zudem hat es Bolsonaro geschafft, die Schuld an der Corona-Krise von sich zu weisen. So meinen 47 Prozent der Brasilianer, dass ihn keine Schuld an den Toten trifft. Gerade einmal 11 Prozent sehen ihn als den Hauptverantwortlichen.
Dass Bolsonaro trotz allem beliebter wird, wertet die Zeitung "Estado de Sao Paulo" als "moralische Erstarrung" Brasiliens. "Ein großer Teil seiner Bevölkerung hält die vom Präsidenten begangene multiple Barbarei nicht nur für akzeptabel, sondern für irrelevant." Egal welches Kriterium man anlege, die Regierung Bolsonaro sei die schlechteste der brasilianischen Geschichte, so die Zeitung.
Großzügiger als Lula?
Der Grund für das überraschend gute Abschneiden des Präsidenten bei den Umfragen dürften die Corona-Hilfen von monatlich umgerechnet knapp 100 Euro pro Person sein. Über 65 Millionen der 160 Millionen erwachsenen Brasilianer erhalten diese seit April. Summiert man weitere Programme, um die Wirtschaft anzukurbeln, beziehen gar 121 Millionen Erwachsene Gelder aus der Staatskasse. Angesichts der positiven Effekte für sein Image will Bolsonaro die Ende August auslaufenden Hilfen bis Ende des Jahres verlängern.
Besonders gefällt ihm, dass er im armen Nordosten zulegt - wo er 2018 noch gegen die linke Arbeiterpartei verlor. Der linke Präsident und Bolsonaro-Erzfeind Luiz Inacio Lula da Silva (2003-2010) hatte mit dem Sozialprogramm "Bolsa Familia" (Familienstipendium) dort viele Benachteiligte für sich gewonnen. Wer seine Kinder zur Schule und regelmäßig zum Arzt schickt, hat Anrecht darauf. In manchen Regionen leben 90 Prozent der Familien von dem Programm. Bolsonaro will nun mit einem Programm namens "Renda Brasil" noch großzügiger sein als Lula.
Aggressiven Stil vorerst abgelegt
Die Corona-Hilfen fungieren dabei anscheinend als Testlauf. Sie kosten die Regierung zwanzig Mal so viel wie "Bolsa Familia". Der neoliberale Wirtschaftsminister Paulo Guedes warnt bereits vor einem Kollaps des Haushalts. Guedes könnte angesichts von Bolsonaros Spendierfreudigkeit gar hinschmeißen, glauben Beobachter. Doch der Präsident ahnt, dass seine Werte wieder sinken, sollten die Hilfen nachlassen oder ausbleiben.
Dazu kommen wirtschaftliche Probleme: Im zweiten Quartal ist die Wirtschaft um 11 Prozent eingebrochen, die Arbeitslosigkeit legt stark zu. Auch bedrohen Justizermittlungen die Familie des Präsidenten. Seine drei politisch aktiven Söhne und die First Lady sollen in einen Skandal um Veruntreuung öffentlicher Gelder verwickelt sein.
Zudem laufen Ermittlungen über Fake-News-Netzwerke, in die der Familienclan verstrickt ist und die bis in den Wahlkampf 2018 zurückreichen. Angesichts der Ermittlungen hatte Bolsonaro seinen aggressiven Stil gegenüber dem Kongress und dem Justizwesen zuletzt abgelegt. Auch das könnte zu seinem aktuellen Höhenflug in den Umfragen beitragen.