100 Tage vor der WM will keine Begeisterung aufkommen

Trübe Stimmung im "Land des Fußballs"

Noch 100 Tage bis zur Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Doch Partystimmung will nicht so recht aufkommen. Stattdessen bereitet die Regierung sich auf neue Massenproteste vor.

Polizist in Rio de Janeiro (dpa)
Polizist in Rio de Janeiro / ( dpa )

Vorfreude sieht anders aus. 100 Tage vor dem Start der Fußball-WM ist die Stimmung im Gastgeberland Brasilien gespalten. Während die Regierung die Sicherheitskräfte auf neue Massenproteste während des Events vorbereitet und sogar die Verabschiedung verschärfter Sicherheitsgesetze vorbereitet, sind viele Bürger über die Milliardenausgaben für das Sportgroßereignis erbost. Versprochen wurden auch Verbesserungen für die Bevölkerung, realisiert wurde hingegen wenig.

Proteste im ganzen Land

Schon während des Konföderationen-Cups im Juni 2013 kam es im ganzen Land zu Protesten, die die Ausgaben für das Event angesichts fehlender Investitionen in Bildung und Gesundheit kritisierten. Zwar ebbten die Proteste zuletzt ab; kleine radikale Gruppen überzogen die Städte jedoch mit Gewalt. Anfang Februar starb ein Journalist in Rio, nachdem er auf einer Demo von einem Feuerwerkskörper am Kopf getroffen wurde.

In sozialen Netzwerken zirkulieren Gerüchte, die Regierung habe ihre Agenten unter die Vermummten gemischt, um die Protestbewegung zu diskreditieren. Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zu den Protesten von über 70 Prozent Mitte 2013 auf zuletzt rund 50 Prozent geschrumpft ist. Gewalt lehnt eine Mehrheit grundsätzlich ab.

Massendemos sind schlecht fürs Image

Die Regierung ist bemüht, die soziale Unzufriedenheit von der WM zu trennen. Massendemos wären im Angesicht der Weltpresse schlecht fürs Image. "Fußball ist das eine, Politik das andere", sagt Kabinettschef Gilberto Carvalho, der Mann für schwierige Missionen für Präsidentin Dilma Rousseff. "Das Volk kann die Dinge sehr genau trennen, und wer politisieren will, wird scheitern."

Überhartes Vorgehen der Polizei nicht thematisiert

Die Zivilgesellschaft kritisiert derweil die im Kongress diskutierten Gesetzentwürfe, ein Anti-Terror-Gesetz und eines zur "öffentlichen Ordnung". Amnesty International warnt von einer "Kriminalisierung der Demos". "Alles weist darauf hin, dass die Gesetze den Menschen den Mut nehmen sollen, an Protesten teilzunehmen", so Atila Roque, Brasiliens AI-Chef - zumal das oft überharte Vorgehen der Polizei nicht thematisiert werde.

Fußball als Wahlkampfthema

Längst ist die WM Wahlkampfthema. Rund 40 Prozent sprechen sich ganz gegen sie aus; die Zahl der Befürworter ist von fast 80 Prozent im Jahr 2008 auf nun nur noch knapp 50 Prozent geschrumpft. Die Spaltung läuft entlang innenpolitischer Gräben: Anhänger der regierenden Arbeiterpartei PT sind meist für die WM, Oppositionsanhänger mehrheitlich dagegen. Kein Wunder, stehen Anfang Oktober, weniger als drei Monate nach dem WM-Finale, Präsidentschaftswahlen an.

Die Nationalmannschaft wird Politikum

Rousseff galt mit Zustimmungswerten über 60 Prozent lange als Favoritin. Doch mit den Massenprotesten halbierten sie sich. Zwar konnte Dilma seitdem Terrain zurückgewinnen. Schlechte Wirtschaftsdaten, zunehmende Gewalt in den Großstädten und Inflation bergen jedoch Gefahren. Scheitert Brasiliens Nationalmannschaft bei der WM, werden die Ausgaben von rund zehn Milliarden Euro zum politischen Bumerang - zumal mit Olympia 2016 in Rio gerade ein weiteres Milliardengrab

geschaufelt wird.

Massive Investition angekündigt

Gewinnt dagegen die "Selecao" ihren sechsten WM-Titel, könnte eine chaotische Organisation des Events trotzdem den sportlichen Erfolg überlagern. Ex-Präsident Luis Inacio Lula da Silva, der die WM und Olympia nach Brasilien holte, kündigte einst massive Investitionen in die marode Infrastruktur des Landes an, etwa für Verkehr, Bildung und das Gesundheitswesen. Geblieben ist davon wenig. Während die zwölf WM-Stadien mit drei Milliarden Euro dreimal so teuer wurden wie geplant, wurden andere Projekte aufgegeben oder verschoben. Meist zahlte der Steuerzahler die Zeche; die erwarteten Privatinvestoren blieben fern.

"Das Erbe der WM ist praktisch null"

Nachrichten von Verzögerungen am Bau, verunglückten Bauarbeitern und halbfertigen Flughäfen machten zuletzt die Runde. Und wo mal etwas fertig wurde, warten enteignete Familien immer noch auf ihre Entschädigungen. Aufgrund der mangelnden Zustimmung zur WM habe die Regierung zuletzt ihren öffentlichen Diskurs geändert, erkennt der Sportjournalist Juca Kfouri, ein vehementer Kritiker der WM-Organisation. "Das Erbe der WM (für die Bevölkerung), das sowieso praktisch null ist, wird ausgeblendet. Dafür betont man nun den Party-Charakter."


Quelle:
KNA