Ohne die langfristigen Folgen absehen zu können, treibt die Corona-Pandemie Entwicklungs- und Schwellenländer in Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa schon jetzt in die Schuldenkrise.
Von 148 untersuchten Staaten sind nach aktuellen Schätzungen 132 kritisch verschuldet, 8 mehr als im Jahr zuvor, wie aus dem am Dienstag vorgestellten Schuldenreport 2021 des Entschuldungsbündnisses erlassjahr.de und Misereor hervorgeht. Neu dabei sind kleine Inselstaaten wie Fidschi und Trinidad und Tobago.
Aber auch Chile, Thailand und die Philippinen haben laut Bericht kritische Schuldenberge angehäuft.
Dramatischer Einbruch der Wirtschaft
"Was wir sehen ist, dass die Corona-Pandemie solche Länder weiter schwächt, die ohnehin schon wirtschaftlich instabil waren, beispielsweise Angola, Ecuador oder Surinam", erklärte Misereors Experte für Entwicklungsfinanzierung, Klaus Schilder. Die durch die Pandemie verursachte Rezession habe in vielen Ländern zu einem dramatischen Einbruch der Wirtschaft geführt.
Das Bündnis erlassjahr.de und das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor analysieren jährlich auf Grundlage der Daten von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank zur Auslandsverschuldung, wo sich die Gefahr von Schuldenkrisen auftut.
Üblicherweise beziehen sich die Zahlen auf das Vorvorjahr. Um die Covid-19-Pandemie möglichst zeitnah abzubilden, zogen die beiden Organisationen in diesem Jahr aktuelle Schätzungen unter anderem vom IWF für ihre Analyse hinzu. Sobald finale Zahlen vorliegen, soll der Bericht aktualisiert werden - vermutlich sind die Ergebnisse dann noch schlechter.
Die gesamten Schulden belaufen sich laut Schuldenreport auf 8,1 Billionen US-Dollar, wobei 5,8 Billionen US-Dollar langfristige Schulden sind. Hiervon seien wiederum 3,1 Billionen Schulden beim öffentlichen Sektor und etwa 2,7 Billionen beim Privatsektor. Zu den privaten Gläubigern zählen Banken und Unternehmen, aber auch institutionelle Investoren und Spekulanten, die nur darauf warteten, dass ein Staat seine Schulden nicht mehr begleichen könne, um dann ihre Forderungen einzuklagen.
21 Länder bereits teilweise zahlungsunfähig
Von den 132 verschuldeten Ländern sind laut Bericht 21 bereits teilweise zahlungsunfähig, zwei mehr als im Jahr zuvor. Und durch die längerfristigen Folgen der Covid-19-Pandemie dürfte diese Zahl weiter ansteigen. Akut vom teilweisen Zahlungsausfall bedroht seien der Libanon und Sambia. Michel Constantin, Regionaldirektor der Misereor-Partnerorganisation Pontifical Mission der Catholic Near East Welfare Association im Libanon, betonte, dass die Lage dort infolge der schweren Explosion und Covid-19 dramatisch sei und die Armut real. Es brauche dringend eine neue Regierung, die sich der drängenden Probleme annehme.
Die G20-Staaten haben auf die ersten Covid-19-Auswirkungen laut Schuldenreport schnell und gemeinsam reagiert und unternahmen mit einem Schuldenmoratorium einen ersten Schritt. Allein Deutschland habe von Mai bis Dezember 2020 rund 135 Millionen Euro an Schulden gestundet. Die Weltgemeinschaft sehe die gravierenden Probleme deutlicher als vor einigen Jahren. Diese Maßnahmen seien aber nicht ausreichend, da damit Zahlungsverpflichtungen nur in die Zukunft verschoben würden.
Echte Schuldenerlasse dringend nötig
"Was es dringend braucht, sind echte Schuldenerlasse. Nur so lässt sich verhindern, dass die Pandemie zu einem verlorenen Entwicklungsjahrzehnt für den Globalen Süden wird", forderte Kristina Rehbein, Politische Referentin von erlassjahr.de. Darüber hinaus müssten private Gläubiger wie Banken und Fonds in Schuldenerleichterungen für die ärmsten Länder mit einbezogen werden.
Mit einem sofortigen Schuldenerlass ließe sich auf die schnellste Art helfen, da das Geld bereits in den Haushalten der hoch verschuldeten Länder liege und in Bildung oder den Gesundheitssektor investiert werden könne.
Misereor-Experte Schilder fügte hinzu, dass alle freiwilligen Verpflichtungen privater Gläubiger bislang in der Regel "Augenwischerei" seien. Entscheidend sei es, alle Gläubiger verpflichtend an einen Tisch zu bringen. Bereits im vergangenen Jahr habe Papst Franziskus ein Erlassjahr gefordert, diese Forderung bestehe fort.