Die alte Welt lag in Trümmern. Der Hass zwischen den europäischen Völkern war riesig. Und doch bestand vor 100 Jahren, im Januar 1919, die Chance auf eine neue Friedensordnung und ein goldenes Zeitalter der Demokratie. 1919 war ein wegweisendes Jahr der Weltgeschichte, auch wenn Jahreszahlen wie 1945 oder 1789 im historischen Gedächtnis stärker verankert sind. Das liegt vermutlich auch daran, dass die Welt die Chancen von 1919 nicht nutzte.
Im Januar vor 100 Jahren nahm die Weimarer Republik Gestalt an: Am 19. Januar 1919 konnten die Deutschen zum ersten Mal in einer allgemeinen, freien und gleichen Wahl eine Nationalversammlung errichten. Wahlberechtigt waren erstmals Frauen und Soldaten. Stärkste Kraft wurde mit 37,9 Prozent die SPD. Zum vorläufigen Reichspräsidenten wurde der Sozialdemokrat Friedrich Ebert gewählt.
Probleme ohne Ende
Unter Ministerpräsident Philipp Scheidemann nahm ab 11. Februar 1919 die "Weimarer Koalition" aus SPD, Zentrum und DDP ihre Arbeit auf.
Hunger, Armut, politische Polarisierung, Hunderttausende Krüppel und Millionen heimkehrende Soldaten: Die Probleme der Republik waren immens. Bis Ende August tagte das Parlament wegen der revolutionären Situation in Berlin – am 5. Januar begann der sogenannte Spartakusaufstand, der von Regierungstruppen seit dem 11. Januar mit Gewalt niedergeschlagen wurde – im Deutschen Nationaltheater in Weimar. Die am 14. August 1919 von ihr verkündete Reichsverfassung wurde mit ihrem Grundrechtekatalog wegweisend für das Grundgesetz, dessen Verabschiedung am 23. Mai 1949 sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt.
Die Welt wird neu geordnet
Mit Bangen blickten die Deutschen zugleich nach Paris. Dort begann am 18. Januar 1919 eine Serie von internationalen Konferenzen, die die Welt neu ordnen sollten: Immerhin hatte der Erste Weltkrieg vier große Imperien zerstört, neben dem Deutschen Kaiserreich mit seinen Kolonien auch Österreich-Ungarn, das Osmanische Reich und die Zarenherrschaft in Russland. Die Konferenzen mündeten in den für Deutschland so schmachvollen Versailler Vertrag, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde, und in den sogenannten Pariser Vorortverträgen – darunter der Vertrag von Saint Germain mit Österreich 1919, der Vertrag von Trianon mit Ungarn 1920, der Vertrag von Sevres mit dem Osmanischen Reich 1920.
Die Hoffnungen auf eine neue Friedensordnung waren zunächst gewaltig: US-Präsident Woodrow Wilson wurde mit seiner zentralen Forderung nach einem Selbstbestimmungsrecht der Völker zum Superstar der damaligen Politik. Neue Staaten entstanden, viele wurden Demokratien. Doch schnell machte sich Ernüchterung breit: Die USA traten dem von ihrem Präsidenten geforderten Völkerbund nicht bei. Das Selbstbestimmungsrecht galt nicht für die Kriegsverlierer Deutschland und Österreich.
Der Nahe Osten geht an Europa
Auch die Kolonien von Frankreich und Großbritannien, die im Weltkrieg einen hohen Blutzoll gezahlt hatten, wurden nicht mit mehr Selbstständigkeit belohnt. So wurden die Hoffnungen der Araber auf einen eigenen Staat enttäuscht. Briten und Franzosen teilten den Nahen Osten in Einflusszonen auf, mit Folgen bis heute.
"Vielleicht unternahm die Pariser Friedenskonferenz von vornherein etwas Unmögliches", zitiert der Marburger Historiker Eckart Conze in seinem Buch "Die Große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt" den Schriftsteller Sebastian Haffner. Da war der immense Hass zwischen den nationalistisch aufgeheizten Gesellschaften. Und anders als die großen Friedensschlüsse von Münster 1648 und Wien 1815 standen die Versailler Friedensverhandlungen unter dem permanenten Druck der Weltöffentlichkeit. "Frieden schließen nach totalem Krieg, dafür gab es keine Vorbilder", so der Autor.
Frieden, den keiner wollte?
Die Versailler Friedensordnung erwies sich als instabil und kurzlebig. Bis Ende der 1930er Jahre hatten sich viele Demokratien in autoritäre Staaten verwandelt. Und noch mehr: Der Versailler Vertrag war ein von allen Seiten ungeliebter Friedensschluss, der auch den Aufstieg Hitlers förderte. "Auf allen Seiten ging auch nach dem Waffenstillstand der Krieg in den Köpfen weiter", schreibt Conze. "Versailles – das war der Frieden, den keiner wollte."