20 Jahre Karfreitagsabkommen zum Nordirlandkonflikt

Brexit könnte Spaltungen neu aufbrechen

Der Nordirland-Konflikt. Die Sache scheint allzu klar: katholische Iren gegen protestantische Engländer. So ist es zwar ganz am Ende - aber doch auch viel komplizierter. Selbst im Karfreitagsabkommen bleibt Zündstoff.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Der britische Premierminister Tony Blair (r-l), US Senator George Mitchell, und der irische Premierminister Bertie Ahern lächeln nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens / © Dan_Chung_Pool (dpa)
Der britische Premierminister Tony Blair (r-l), US Senator George Mitchell, und der irische Premierminister Bertie Ahern lächeln nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens / © Dan_Chung_Pool ( dpa )

Seit 20 Jahren herrscht endlich Frieden in Nordirland. Acht Konfliktparteien einigten sich am 10. April 1998 im sogenannten Karfreitagsabkommen von Belfast auf einen historischen Kompromiss. Und der Schlussstrich unter Jahre des Blutvergießens gelang tatsächlich; eine soziale Aussöhnung ist seitdem auf einem ziemlich guten Weg. Allerdings droht der EU-Austritt Großbritanniens die Konturen der Verwerfungen von damals wieder deutlicher zutage treten zu lassen. Die Nordirland-Frage ist der politisch heikelste Aspekt des gesamten Brexit. Wo verläuft künftig die EU-Außengrenze? Und gehen alle den am Ende gewählten Weg mit?

Der Nordirland-Konflikt. Die Sache scheint allzu klar: katholische Iren gegen protestantische Engländer. So ist es zwar ganz am Ende tatsächlich - aber doch auch viel komplizierter. Natürlich: Die Ursache des Konflikts ist eine lange Geschichte. Im Hochmittelalter drangen die Normannen aus England bis auf die irische Insel vor; seit Anfang des 17. Jahrhunderts siedelten protestantische Engländer und Schotten in der Provinz Ulster im Nordosten Irlands. Und 1801 wurde Irland gar komplett der englischen Krone unterstellt.

Im Zeichen des Widerstands

Das 20. Jahrhundert steht ganz im Zeichen des Widerstands und des Partisanenkriegs: Osteraufstand 1916, Bürgerkrieg, ab 1948 eine unabhängige Republik Irland - wobei der Nordosten unter englischer Kuratel blieb, ein Teil des "Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland". Die irische Republik pochte stets auf eine Herausgabe des Nordens - in dessen ländlichen und ärmeren Regionen die katholischen Iren in der Mehrheit waren.

Seit 1966, als militante protestantische Aktivisten durch Attentate katholische Ressentiments gegen die behördliche Diskriminierung anheizten, wurde der Konflikt blutig und brutal. Gewalt der "Irisch-Republikanischen Armee" (IRA) wurde mit Gegengewalt und Vergeltung beantwortet. Die britische Armee, zur Beruhigung der Lage herbeigerufen, verlor ihre anfängliche Neutralität und wurde selbst Partei.

Es eskalierte die Lage

Nach dem "Blutsonntag" (Bloody Sunday), als am 30. Januar 1972 in Derry 13 unbewaffnete Demonstranten von englischen Fallschirmjägern erschossen wurden, eskalierte die Lage. Die englische Regierung übernahm die Kontrolle und entmachtete das nordirische Parlament.

Nordiren beider Seiten fühlten sich von der jeweiligen Heimatfront zu wenig unterstützt. Milizen radikalisierten und spalteten sich; Spitzelsysteme wurden etabliert. Die Lage wurde vollends unübersichtlich.

Ausschließlich Katholiken oder Protestanten

Rund 3.500 bis 4.000 Menschen starben, etwa die Hälfte davon Zivilisten. Dabei war es nur eine kleine Minderheit von Aktivisten, die den bewaffneten Kampf befürwortete und tatsächlich betrieb. Doch die Spaltung der Gesellschaft wurde begünstigt durch das streng konfessionelle Schulsystem im Land, auf dem die jeweiligen Kirchenleitungen bestanden hatten. Es gab - und gibt bis heute - Viertel in der Hauptstadt Belfast, in denen fast ausschließlich Katholiken oder Protestanten wohnen.

Im sogenannten Karfreitagsabkommen, am 10. April 1998 in einer Kirche in Belfast von Irland, Großbritannien und den wichtigsten nordirischen Konfliktparteien besiegelt, gelang der Befreiungsschlag zum Frieden. 71 Prozent der Nordiren und 94 Prozent der Iren votierten in einer Volksabstimmung für das Abkommen.

Im Angesicht des Brexit

Irland verzichtet darin auf den Anspruch einer Wiedervereinigung; im Gegenzug soll diese per Referendum aller Nordiren möglich bleiben. Die (festgeschriebene) Bildung einer gemeinsamen Regierung von Unionisten und Republikanern soll den Friedensprozess im Land schützen. Entwaffnung, Haftentlassungen und eine Reduzierung der britischen Truppen sind weitere Bestandteile. Und ein Passus, der nun, im Angesicht des Brexit, eine ganz neue Brisanz erhält: Nordiren haben seitdem das Recht, zusätzlich zum britischen einen irischen (und damit voll EU-gültigen) Pass zu beantragen.

Unter ungünstigen Umständen könnte der EU-Ausstieg Großbritanniens einige der mühsam zugeschütteten sozialen Gräben neu aufwerfen. Das Wohlstandsgefälle zwischen dem irisch-katholischen und dem besser situierten britisch-protestantischen Bevölkerungsteil ist immer noch vorhanden. Zudem hatten sich 56 Prozent der Nordiren für einen Verbleib in der EU ausgesprochen; klare Mehrheiten dafür gab es in den katholisch bewohnten Wahlkreisen.

Katholiken schon bald wieder die Bevölkerungsmehrheit?

Und der katholische Bevölkerungsanteil ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Schätzungen zufolge könnten Katholiken schon bald wieder die Bevölkerungsmehrheit in Nordirland stellen. Der Konflikt zwischen Nationalisten und Unionisten, zwischen Katholiken und Protestanten schwelt bis heute weiter. Es gibt Rückschläge, unversöhnliche Haltungen, schwierige Regierungsbildungen, vereinzelt sogar Bombenexplosionen. Doch das Abkommen von 1998 hat den entscheidenden Weg zum Frieden gewiesen.


Quelle:
KNA