2014 wurden so viele Kinder geboren wie seit zehn Jahren nicht mehr

Es reicht noch nicht

Mehr Kinder, weniger Todesfälle - der Abstand zwischen Geburtenzahl und Sterbefällen ist 2014 ein bisschen geschrumpft. Aber der Effekt ist nicht von Dauer. Um gegenzusteuern gibt es nur zwei Optionen. Eine davon heißt: mehr Zuwanderung.

Autor/in:
Sandra Trauner
Neugeborenes Baby (KNA)
Neugeborenes Baby / ( KNA )

Bevor junge Menschen eine Familie gründen, ist einiges zu erledigen. "Die Menschen in Deutschland haben einen hohen Anspruch an Elternschaft", sagt Soziologe Harald Rost vom Bamberger Staatsinstitut für Familienforschung: Sie wollen materielle Sicherheit, eine große Wohnung, einen guten Job. Sie wollen sich ausgelebt haben und viel gereist sein - und sie suchen den perfekten Partner. Bis das alles steht, sind sie relativ alt und bekommen dann oft weniger Kinder als sie ursprünglich haben wollten, wenn es dann überhaupt noch klappt.

Trotzdem sind in Deutschland im vergangenen Jahr so viele Kinder geboren worden wie seit zehn Jahren nicht mehr: 715 000 Babys. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Neugeborenen um fast fünf Prozent, wie die erste Schätzung des Statistischen Bundesamtes für 2014 belegt. Zudem starben auch weniger Menschen: 868 000 Tote, fast drei Prozent weniger.

Damit schrumpfte der Abstand zwischen Geburten und Todesfällen: 2014 starben 153 000 mehr Menschen als geboren wurden; im Jahr davor betrug die Differenz noch 212 000 Köpfe - ein Rekordwert, wie Anja Conradi-Freundschuh vom Statistischen Bundesamt sagt. Aber der positive Trend ist nur vorübergehend, warnen Experten.

Angst vor neuem Geburtentief

Wie viele Kinder geboren werden, hängt vor allem davon ab, wie viele Frauen im gebärfähigen Alter es gibt. Seit 2008 hat sich diese Zahl stabilisiert, erklären die Statistiker in der Publikation "Im Fokus". Das dürfte in den nächsten Jahren die Geburtenzahl positiv beeinflussen. "Nach 2020 wird die Zahl der Frauen zwischen 26 und 35 Jahren allerdings voraussichtlich deutlich schrumpfen, wodurch ein erneutes Geburtentief entstehen kann."

Um die Schere zwischen Geburten und Todesfällen zu schließen, gibt es nur zwei Wege: mehr Kinder pro Frau oder mehr Zuwanderung. Option eins: Frauen bekommen mehr Kinder. Heute kriegen sie ihr erstes Kind mit 30 Jahren und bringen durchschnittlich 1,4 Babys zur Welt. Wollte man allein durch "mehr Kinder pro Frau" die Lücke schließen, müsste jede Frau im Schnitt 2,1 Kinder bekommen, haben die Statistiker errechnet.

Tatsächlich zeigt die Kurve nach oben: Nach 1,25 Kindern im Jahr 1995 waren es 2005 schon 1,34 Kinder pro Frau. Auch danach stieg die Zahl Jahr für Jahr ein bisschen an. Aber ein Durchschnittswert über zwei sei "in einem modernen Industrieland nicht realistisch", sagt Soziologe Rost. Nirgendwo in Europa liege der Schnitt über zwei. EU-Spitzenreiter ist Frankreich mit 1,99 Babys.

Massive Einwanderung nötig

Die Politik habe wenig Optionen, sagt der Bamberger Familienforscher. Natürlich müsse sie dafür sorgen, dass Familie und Beruf so gut wie möglich zu vereinbaren seien. Der Ausbau der Betreuung und das Elterngeld hätten Hürden abgebaut. "Aber man muss sehen, dass diese demografische Entwicklung für die nächsten Jahrzehnte nicht mehr gestoppt werden kann - außer durch massive Einwanderung."

Wie also steht es um Option zwei: Zuwanderung? Jürgen Dorbritz vom Wiesbadener Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung glaubt, dass auch das nicht ausreichen wird. "So viel Zuwanderer kann Deutschland vermutlich nicht aufnehmen, umso so einen Effekt zu erreichen." Nicht alle Gruppen von Einwanderern hätten schließlich eine Geburtenziffer, die deutlich über der hierzulande liege. Dabei geht es nicht nur um Flüchtlinge, die gerade nach Deutschland kommen, sondern um Einwanderung generell.

Weder Familienpolitik noch mit Einwanderungspolitik sind aus Sicht des Bevölkerungsforschers in der Lage, das Problem zu lösen, dass in Deutschland mehr Menschen sterben als geboren werden: "Diese Lücke ist nicht schließbar", sagt Dorbritz. "So schnell, wie die Zahl der Todesfälle ansteigt, kann man die Geburtenzahl nicht erhöhen." Die Generation der Babyboomer komme nämlich langsam in das Alter, wo bald viele sterben werden. Aktuell zähen noch jene Jahrgänge zu den ältesten Menschen, die vom Krieg ohnehin dezimiert sind.

Für Dorbritz ist klar: "Wir müssen es hinnehmen, dass die Bevölkerung weiter altert - mit all den Konsequenzen, die das hat: für das Rentensystem, für das Gesundheitssystem, für den Arbeitsmarkt."


Quelle:
dpa