40.000 Taize-Begeisterte mischen Brüssel auf

"Europa ohne Zeigefinger"

Eine Heerschar von Rucksackträgern fällt in Brüssel ein. 600 Busse spucken am Montagmorgen Tausende Jugendliche aus, die aus allen Teilen Europas zum 31. Taize-Treffen in die belgische Hauptstadt gekommen sind - ein großer spiritueller Flashmob, also ein riesiger Menschenauflauf, den die EU-Stadt so noch nicht gesehen hat. Bis zum 2. Januar werden die U-Bahnen und Busse in Brüssel voll sein mit 40.000 Taize-begeisterten Jugendlichen.

Autor/in:
Klaus Nelißen
Brüssel: Ankunft der Jugendlichen (epd)
Brüssel: Ankunft der Jugendlichen / ( epd )

Der Großteil der Jugendlichen stammt aus Mittel- und Osteuropa. Knapp 10.000 kommen aus Polen, 2.000 aus Rumänien, 1.000 aus der Ukraine. Im Saint-Pierre-College im Stadtteil Jette kommen die Ukrainer an. Bei Minustemperaturen stehen sie im Schulhof, bewaffnet mit Schlafsack und Isomatte, vermummt in Schals, Mützen und dicken Jacken.

Trotzdem friert die 22-jährige Tatjana. Sie will möglichst schnell zu ihrer Gastfamilie. «Ein Bett und eine Dusche, das brauche ich jetzt», sagt sie. Ihre Gruppe brauchte drei Tage, um über Kiew und Prag nach Brüssel zu fahren. Zwei Nächte haben sie im Bus geschlafen. Für sie dauert die Hin- und Rückfahrt länger als der fünftägige Aufenthalt in Brüssel. «Das ist es wert», meint Tatjana, die im Sommer erstmals in Taize war, im französischen Burgund, und dort von dem Treffen zum Jahresende hörte.

Sprache kein Hinderniss
Das Atomium sehen, den Grand Place oder das EU-Viertel? Für Tatjana ist das Sightseeing eher Nebensache. Gemeinsam mit ihren ukrainischen Freundinnen sucht sie die Begegnung. «Internationalität - das ist die magnetische Wirkung von Taize», findet Tatjana. Sprache sei dabei kein Hindernis. «Wir verstehen uns hier, wenn wir beten und gemeinsam singen.»

Wie viele Jugendliche sucht die Ukrainerin in diesen Tagen Besinnung statt Böller. Auf dem Brüsseler Expo-Gelände beten die Jugendlichen mit den Taize-Brüdern - auch in der Silvesternacht. Doch nach dem Nachtgebet geht es zum «Fest der Nationen». Die Silvesterfeiern in den Gemeinden, bei denen die Ländergruppen etwas vortragen, gehören zum festen Programmpunkt eines Taize-Treffens.

Frere Wolfgang stammt aus Regensburg und erlebt in diesem Jahr sein 30. Jugendtreffen als Taize-Mönch. Für ihn liegt die Erfolgsformel der Veranstaltung in einem «Europa ohne Zeigefinger": «Wenn man erst mal zwei oder drei Leute aus einem Land persönlich kennt, kann man nicht mehr so einfach über ein Volk ablästern», sagt er. Frere Wolfgang ist für die Deutschen zuständig. Dieses Jahr sind doppelt so viele Teilnehmer aus Deutschland nach Brüssel gekommen wie beim Vorjahrestreffen in Genf. Aber Zahlen spielen für den Mönch keine Rolle. «Wir müssen mit diesem Treffen nichts beweisen», sagt er.

Eine der größten Jugendbewegungen Europas
Seit 1979 finden die Jugendtreffen immer in einer anderen Großstadt Europas statt. Angeregt durch den 2005 verstorbenen Taize-Gründer Frere Roger ist der sogenannte «Pilgerweg des Vertrauens» zu einer der größten und kontinuierlichsten Jugendbewegungen Europas geworden. Von Zagreb bis London, von Lissabon bis Hamburg - über die Jahre haben mehr als 1,7 Millionen Menschen an den Taize-Treffen teilgenommen.

Für die Jugendlichen sei das Taize-Treffen oft eine prägende Erfahrung dessen, was Europa ausmache: das Zusammensein der Völker, meint Frere Wolfgang. Und die Jugend Europas nach Brüssel zu laden, war ein Herzensanliegen des Brüsseler Kardinals Godfried Danneels. Der 75-Jährige freut sich, dass das Treffen kurz vor seinem Ruhestand endlich am Sitz zahlreicher EU-Institutionen stattfindet.

Es gehöre zur «Berufung der Stadt Brüssel als Hauptstadt Europas, sich auch für die Jugend zu öffnen», sagte Danneels im Vorfeld. In ökumenischer Gemeinsamkeit mit den anderen Konfessionen Belgiens hatte er die Jugendlichen nach Brüssel geladen. Die ökumenische Vielfalt liegt den Brüdern von Taize am Herzen. «Wenn wir nur Gleichgesinnte um uns sammelten, würde es einseitig», meint Frere Wolfgang. Das klingt dann doch nicht nach Armee, sondern vielmehr nach einem Fest der Vielfalt.