60. Todestag: Gefangenenseelsorger Stock verbindet Deutsche und Franzosen - Rüttgers in Chartres

Ein Priester in der Hölle

Die Franzosen nannten ihn "Seelsorger der Hölle". Mehr als 2.000 französische Widerstandskämpfer, Juden und deutsche Soldaten hat der katholische Priester Franz Stock während der Nazi-Herrschaft in Frankreich auf den Tod vorbereitet und sie zur Hinrichtungsstätte auf dem Mont Valerien bei Paris begleitet. Am Sonntag vor 60 Jahren starb Stock in Paris.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Stock hat deutsch-französische Geschichte erlitten. Der aus dem westfälischen Neheim stammende Geistliche wurde dadurch zu einem Wegbereiter der Verständigung nach dem Zweiten Weltkrieg. An diesem Wochenende wird Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) an einem Gedenkgottesdienst in Chartres teilnehmen, wo Stock begraben ist.

Zuvor wird er am Samstag mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen Kranz für französische Widerstandskämpfer auf dem Mont Valerien niederlegen. Erstmals würdige damit ein deutscher Spitzenpolitiker den französischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg, teilte die Staatskanzlei in Düsseldorf mit.

Begonnen hatte Stock, der die deutsche katholische Gemeinde in Paris betreute, die Sorge für die Todgeweihten im Herbst 1940 nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris. Als die Gestapo französischen Geistlichen den Zugang zu den zum Tode verurteilten Landsleuten verweigerte, meldete er sich freiwillig. Er spendete die Sterbesakramente, sprach Trost zu und las auch jüdischen Häftlingen aus dem Alten Testament vor. Heimlich informierte er Angehörige und warnte Widerstandskämpfer.

Sein Tagebuch und seine Briefe aus dieser Zeit sind erschütternde Dokumente. "Ich meine oft, ich könnte nicht mehr", schrieb der schwer herzkranke Geistliche an einen Freund. "Was ich hier erlebe, ist so furchtbar, dass ich nächtelang schlaflos liege." Die Befreiung von Paris am 28. August 1944 setzte diesem Wirken ein Ende. Der Seelsorger der Gefangenen kam selbst in Gefangenschaft. Doch französische Priester gaben seiner Inhaftierung einen Sinn: Zuerst in Orleans und später in Chartres vor der Kulisse der berühmten Kathedrale kam es zur Gründung eines "Priesterseminars hinter Stacheldraht", dessen Leiter Stock wurde. 949 meist deutschen Theologiestudenten wurde hier ein Studium in Gefangenschaft ermöglicht.

"Wir sind überzeugt", schrieben die französischen Geistlichen, "dass das Werk einen großen rückhaltigen Einfluss auf die gegenseitige Verständigung unserer beiden Länder haben wird." Und der päpstliche Nuntius Angelo Giuseppe Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., sagte bei einem Besuch des Lagers: "Das Seminar gereicht sowohl Frankreich wie Deutschland zum Ruhme. Franz Stock, das ist kein Name
- das ist ein Programm."

Als erstes von neun Kindern 1904 einer Arbeiterfamilie geboren, gehörte Stock der Quickbornbewegung an. Prägend wurde seine Teilnahme an einem Friedenstreffen junger Europäer in Frankreich 1926. Zwei Jahre später ging er zum Studium an das Institut Catholique in Paris, wo er der erste deutsche Theologiestudent nach dem Ersten Weltkrieg war. 1934 nach Paris zurück. Als Seelsorger der deutschen Pfarrei kam er bald nicht nur mit deutschen Botschaftsangehörigen, sondern auch mit Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland zusammen.

Entkräftet und einsam starb der 43-Jährige am 24. Februar 1948 in Paris an seinem Herzleiden. Zunächst wurde er auf dem Friedhof Thias beerdigt, wo er beinahe in einem Massengrab verscharrt worden wäre. Doch schon 1949 fand eine öffentliche Gedenkfeier im Pariser Invalidendom statt. Im Sommer 1963 wurde sein Leichnam nach Chartres überführt. Zahlreiche Straßen und Plätze sind mittlerweile nach ihm benannt. Politiker wie Helmut Kohl und Frankreichs Präsident Jacques Chirac würdigten ihn als Symbol für Versöhnung. Am Standort des "Priesterseminars hinter Stacheldraht" wurde 2007 eine europäische Jugendbegegnungsstätte errichtet.