Ein wenig enttäuscht ist Felix dann doch. "Irgendwie unspektakulär", meint der 16-Jährige, nachdem er die sogenannten Heiligtümer im Chorraum des Aachener Doms gesehen hat. Dass nur eine der Tuchreliquien entfaltet wird, habe er nicht gewusst. "Die Windel Jesu hätte ich schon ganz gern gesehen", schmunzelt er. Aus Viersen
am Niederrhein ist Felix in die Karlsstadt gekommen, um mit Hunderten anderer junger Gläubiger die "Nacht der Jugend" zu feiern. Und auch wenn die Heiligtumsfahrt der Anlass dazu ist - im Mittelpunkt stehen die Tuchreliquien für ihn nicht. Andere Leute kennenzulernen, Spaß zu haben und Impulse mitzunehmen für die eigene Jugendarbeit, das ist ihm wichtiger. Erste Kontakte zur Aachener Jugendkirche "kafarna.um" hat er schon geknüpft.
Tausende Pilger
Was den Jugendlichen so seltsam unberührt lässt, hat in den vergangenen zehn Tagen tausende Pilger nach Aachen gelockt. Alle sieben Jahre nur findet die Heiligtumsfahrt statt, und nur dann werden die vier Tuchreliquien öffentlich gezeigt. Karl der Große soll sie um 800 nach Aachen gebracht haben: ein Kleid Mariens, eine Windel Jesu, sein Lendentuch am Kreuz und das Enthauptungstuch Johannes des Täufers. Lange Schlangen hatten sich vor dem Dom gebildet, wo die Heiligtümer in Vitrinen ausgestellt sind. Am Wochenende hat die Wartezeit mitunter zwei Stunden betragen.
Weihnachten und Karfreitag im Schnelldurchlauf
Jeden Vormittag um 11 Uhr ist Pilgermesse auf dem Katschhof gleich hinter dem Dom. Zu Beginn des Gottesdienstes werden die Reliquien einzeln den Gläubigen präsentiert - und mit ihnen ein Schnelldurchlauf durch die Heilsgeschichte. Mit dem Evangelium von Mariä Verkündigung beginnt die Zeremonie, wenn die Windel an der
Reihe ist, singen alle "Zu Bethlehem geboren", beim Lendentuch dann "O Haupt voll Blut und Wunden". Niemals sonst sind Weihnachten und Karfreitag, sind Menschwerdung und Kreuzestod so nah beieinander.
Pünktlich zu Messe hört der Regen auf
Hunderte Wallfahrer haben sich auch am letzten Sonntag auf dem Katschhof eingefunden. Pünktlich zu Beginn der Messe hört der Regen auf und die Sonne blinzelt hinter den Wolken hervor. Kardinal Joachim Meisner, der Kölner Alterzbischof, hält die Predigt. "Kleider machen Leute" lautet sein Motto. Die Gläubigen fordert er auf, das Evangelium nicht als Fremdkörper zu betrachten, sondern gleichsam als alltägliches Kleidungsstück zu tragen. Dieser "Mantel des Heiligen Geistes" gebe den Menschen jene Zärtlichkeit und Wärme, die heute in der Kirche oft zur Mangelware geworden sei, sagt Meisner. Applaus brandet auf.
Biker-Gottesdienst mit Fahrzeugsegnung
Während die Heiligtümer wieder in dem Dom gebracht werden, rüstet sich der Katschhof für den nächsten Pilgeransturm. Eilig werden die Stühle weggeräumt, denn jetzt muss Platz geschaffen werden. Ein Biker-Gottesdienst steht auf dem Programm mit anschließender Fahrzeugsegnung. Etlicher solcher Angebote hatte es in den Tagen zuvor bereits gegeben, für Feuerwehrleute und Radfahrer, Ordensleute und Soldaten. Beim "Tag der Kinder" präsentierten Schüler auf kleinen Tüchern ihre Träume von einer besseren Welt. Die kirchliche Arbeitslosenarbeit machte mit einer Figurenaktion auf sich aufmerksam, für die elf Langzeitarbeitslose aus verschiedenen Projekten Modell gestanden hatten.
Zahlreiche Bischöfe aus dem In- und Ausland feierten Pilgergottesdienste, darunter der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Nikola Eterovic, und Kurienkardinal Peter Turkson.
Reliquien aus der Nähe
Vor dem Dom hat sich mittlerweile wieder eine Schlange gebildet. "Jetzt ist sie aber besonders lang", sagt Bistumssprecher Franz Kretschmann. Auch Hermine Stephan hat sich unter die Wartenden eingereiht. Eben noch hat sie an der Pilgermesse teilgenommen, nun möchte sie die Heiligtümer noch einmal aus der Nähe sehen. "Bislang habe ich diese Reliquien mit Abstand betrachtet»" gesteht die ältere Dame aus dem nahen Geilenkirchen. Sie sei ja schon gläubig, habe sie gedacht, da habe sie doch keine Reliquien mehr nötig. Die Predigt von Kardinal Meisner aber habe ihr die Augen geöffnet: "Jetzt weiß ich, was diese Tücher für mich und meinen Glauben bedeuten."