Es war ein sinnloser Kampf gegen die zahlenmäßig und materiell überlegenen US-Truppen. "Der Führer wollte Aachen bis zum letzten Stein verteidigen", sagte Reichsmarschall Hermann Göring ein Jahr später im Verhör. "Es sollte ein Beispiel für alle anderen deutschen Städte geben, die, wenn nötig, zu verteidigen waren, bis man sie dem Erdboden gleichgemacht hatte." Vor 75 Jahren - am 21. Oktober 1944 - endete nach wochenlangen Kämpfen die "Schlacht um Aachen". Damit wurde die erste deutsche Großstadt vom Nazi-Regime befreit - rund ein halbes Jahr vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und dem Ende des Zweiten Weltkrieges.
Die Front rückte immer näher an Aachen heran, nachdem die Alliierten am D-Day, dem 6. Juni 1944, in der Normandie gelandet waren, wie der Historiker Rene Rohrkamp beschreibt. Die ersten Gefechte am Stadtrand begannen bereits am 12. September. Kampfkommandant Oberst Helmuth von Osterroht sollte mit einem nur 1.050 Mann starken Bataillon und weiteren 800 versprengten Soldaten, die vom Vormarsch der Alliierten aus Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und Belgien geflohen waren, den sechs Kilometer breiten Westwallabschnitt gegen die 1. US-Armee mit rund 100.000 Soldaten verteidigen.
Besetzung des Westwalls
Eine Schlüsselrolle bei der Verteidigung spielte indes die 116. Panzerdivision, die beim Rückmarsch aus der Normandie unter dem Befehl von General Gerhard Graf von Schwerin am 12. September die Stadt erreichte. Er rechnete für den nächsten Morgen mit dem Einmarsch der US-Truppen in Aachen. Doch diese machten keine Anstalten vorzurücken. Daraufhin gab Schwerin seiner Division den Befehl, die Westwallstellungen zu besetzen.
In den folgenden Wochen begann ein zermürbender Kampf um die Stadt, in der nur noch 20.000 bis 30.000 von ursprünglich 160.000 Einwohnern lebten. Zunächst waren beide Seiten damit beschäftigt, Menschen und Material heranzuführen. Eine sogenannte Zweite Schlacht um Aachen begann am 2. Oktober mit Luftangriffen, die zu vielen Verlusten auf deutscher Seite führten. Um Nachschubwege zu blockieren, wurden auch Köln, Hamm und Kassel bombardiert.
Verteidigung bis zum letzten Mann
In einem Zangengriff zogen die US-Truppen den Ring um Aachen immer enger. Ein erstes Kapitulationsangebot am 10. Oktober wurde abgelehnt. Oberst Gerhard Wilck, inzwischen Kampfkommandant, wurde durch das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) darauf verpflichtet, "Aachen bis zum letzten Mann zu verteidigen".
Am 16. Oktober war die Stadt endgültig eingekesselt. Die Bitte Wilcks, mit dem Rest seiner Männer einen Ausbruchsversuch zu starten, wurde durch das OKW abgelehnt. Nachdem die Amerikaner zwei deutsche Panzerabwehrkanonen auf dem Lousberg zerstörten, ließ er am 20. Oktober 70 Kriegsgefangene mit der Botschaft frei, den Kampf einstellen zu wollen.
SS-Kommando ermordet ersten Oberbürgermeister
Am nächsten Tag hisste er die weiße Fahne, unterschrieb die Kapitulation der Stadt und ging mit den letzten 300 Soldaten in Kriegsgefangenschaft. Die Amerikaner setzten bereits zehn Tage später Franz Oppenhoff als Oberbürgermeister ein, der dann fünf Monate später von einem SS-Kommando ermordet wurde.
Die Gefühlslage der Aachener nach dem 21. Oktober war nach den Worten des Historikers Peter M. Quadflieg nicht anders als die der Deutschen insgesamt nach dem 8. Mai: Angst, Erleichterung, Niedergeschlagenheit und Rechtfertigungsdruck nach dem Motto "davon haben wir nichts gewusst" erfassten das Land. Die Einwohner hätten sich als Leidtragende des Krieges und der "bösen" NS-Herrschaft verstanden.
Schleppende Aufarbeitung
"Eine Reflexion über die Ursprünge des Krieges oder die Partizipation der Aachener an der NS-Herrschaft" habe lange nicht stattgefunden. Erst in den 1980er Jahren konnte sich - auch nach der TV-Serie "Holocaust" in den 1970er Jahren - der Begriff "Befreiung" nicht nur für die Kapitulation am 8. Mai, sondern auch für den 21. Oktober 1944 in Aachen durchsetzen.