Abgeordnete Griese bewegt von Auftritt einer Holocaust-Überlebenden im Bundestag

Eindringen in jedes Herz

Im Bundestag hat die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch gesprochen. Die Abgeordnete Kerstin Griese zeigt sich bewegt von dem Auftritt und fordert, dass jeder Schüler die Möglichkeit haben sollte, Holocaust-Gedenkstätten zu besuchen.

Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag / © Wolfgang Kumm (dpa)
Holocaust-Gedenkstunde im Bundestag / © Wolfgang Kumm ( dpa )

DOMRADIO.DE: Antisemitismus ist ein Problem auch im 21. Jahrhundert. Darüber hat die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch im Bundestag gesprochen. Was ist das für ein Gefühl, das zu hören von jemandem, der den Holocaust am eigenen Leib erfahren hat?

Kerstin Griese (SPD-Bundestagsabgeordnete, Expertin für Kirche und Religion und Mitglied des Rates der EKD): Das war sehr bewegend heute: Eine 92-jährige alte Dame mit fester Stimme und entschlossener Ausstrahlung, die aus ihrem Leben erzählt, die das KZ Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hat. Das hat mich sehr beeindruckt, gerührt und bewegt. Und ich hoffe, es dringt ins Herz von jedem, wenn so eine Frau sagt, dass wir heute aufpassen müssen, dass so etwas nie wieder passiert. Das war die Quintessenz ihrer Rede. Es geht um die Sicherheit, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Das hat sie vor dem Deutschen Bundestag gesagt, in dem ja inzwischen sechs Fraktionen sitzen - darunter eine, die ganz schön viele Mitglieder hat, die sehr geschichtsvergessend sind. 

DOMRADIO.DE: Wir sprechen dabei von der AfD, die teilweise als einzige Fraktion nicht geklatscht hat bei den Worten der Holocaust-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch. Wie bewerten Sie das?

Griese: Ich finde es beklemmend, mit Leuten gemeinsam im Bundestag zu sitzen, die in ihren Reihen Holocaust-Leugner haben. Ich finde es beklemmend, da mit Leuten zu sitzen, zu denen jemand gehört, der das Holocaust-Mahnmal als ein "Denkmal der Schande" bezeichnet. Und ich glaube, wenn sie so eine Frau hören und auch die Stärke, die sie heute ausstrahlt, wahrnehmen, dann müssen sie doch wirklich zur Besinnung kommen und eine strengere Abgrenzung zum Rechtsextremen ziehen. Insofern ist das - ja, manchmal denkt man - ganz schön heuchlerisch. 

DOMRADIO.DE: Gab es bei der Rede von Frau Lasker-Wallfisch einen Moment, der Ihnen besonders im Kopf geblieben ist? 

Griese: Sie hat ja sehr deutlich gesagt: Passt auf heute. Es geht um die Sicherheit, dass so etwas nie wieder geschehen darf. Und dann hat sie ausgerufen: 'Sprecht miteinander!' Sie hat quasi nicht nur von der Vergangenheit erzählt, sondern auch in die Zukunft geschaut und gesagt: Es kommt darauf an, dass man sich kennt. Dass Juden, Muslime einander kennenlernen und miteinander sprechen. Das hat mich sehr bewegt. Und dann natürlich, wie sie aus Auschwitz erzählt hat und von dem Wahnsinn, den man sich ja kaum vorstellen kann, dass im KZ musiziert wurde, dass sie Cello spielen musste, als die Transportzüge mit den Menschen für die Gaskammer angekommen sind. Das ist so unvorstellbar. Das sprengt alle Dimensionen. 

DOMRADIO.DE: Anscheinend ist es ja so, dass junge Menschen in Deutschland teilweise gelangweilt sind vom Thema Holocaust. Was muss da passieren? Müssen wir anders umgehen mit der Erinnerungskultur? 

Griese: Naja, Frau Lasker-Wallfisch hat ja deutlich gesagt: Leugnen darf nicht sein. Und ich erlebe immer wieder Jugendliche, die sich sehr engagieren für das Lernen aus der Geschichte. Die ganz wunderbar auch mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen umgehen. Ich glaube, dass wir gerade in der Gedenkstättenarbeit und Gedenkstättenpädagogik viele sehr gute Ansätze haben, die pädagogisch nicht mit dem Zeigefinger kommen, sondern den Jugendlichen die Chance lassen, sich Geschichte zu erarbeiten und daraus auch selber ihre Konsequenzen zu ziehen. Ich finde, es gehört zu jedem Lehrplan in der Schule, dass man einen Ort der Täter und der Opfer besucht, dass man eine Gedenkstätte besucht. Ich glaube, damit kann man junge Leute gut ansprechen.

DOMRADIO.DE: Seit Kurzem wird über verpflichtende KZ-Besuche diskutiert. Was sagen Sie: Ja oder Nein?

Griese: Nicht Pflicht, aber es gehört dazu, dass es in jedem Schulprogramm auftaucht. Jede Schülerin, jeder Schüler sollte die Gelegenheit haben, eine Gedenkstätte zu besuchen. Das kann eine KZ-Gedenkstätte oder ein anderer Erinnerungsort an die Opfer des Nationalsozialismus sein. Die sind ja nicht alle an den Orten ehemaliger Konzentrationslager. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Kerstin Griese / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Kerstin Griese / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )
Quelle:
DR