DOMRADIO.DE: Sie leben und arbeiten seit dem 1. September in Tartu in Estland. Was ist das für eine Stadt?
Jule Maletz (Abiturientin und Teilnehmerin am "Bonifatius Praktikanten-Programm" in Estland): Es ist eine sehr junge und multikulturelle Stadt, weil es eine Universitätsstadt ist. Tartu liegt im Osten Estlands und ist die zweitgrößte Stadt des Landes.
DOMRADIO.DE: Sie arbeiten im katholischen Bildungszentrum Tartu hauptsächlich im Deutschunterricht an der weiterführenden Schule. Lernen viele junge Menschen in Estland Deutsch?
Maletz: Mehr als man am Anfang denkt. Es ist wie bei uns in Deutschland die zweite Fremdsprache, entsprechend wählt ungefähr die Hälfte der Klasse Deutsch. Mittlerweile ist es beliebter als Russisch, weil Estland sich proeuropäisch aufstellt und sich das im Denken der Menschen niederschlägt. Deutsch ist daher eine sehr verbreitete Sprache.
DOMRADIO.DE: Was sind Ihre Aufgaben vor Ort?
Maletz: Ich übernehme die Vertretung, wenn die eigentlichen zwei Deutschlehrerinnen wegen eigener Krankheit oder wegen Krankheit ihrer Kinder ausfallen. In diesem Fall übernehme ich den Unterricht komplett. Wir haben eine Kindergarten-AG und eine Grundschul-AG, in denen jeweils Deutsch angeboten wird. Ich plane und organisiere diese mit.
Zudem unterstütze ich Kinder, denen das Sprachenlernen schwerer fällt oder die sich vielleicht nicht so gut konzentrieren können.
Zum Schluss übernehme ich noch Aufgaben wie kopieren, ausschneiden, drucken, Tafelbilder anfertigen und alles, was sonst noch anfällt.
DOMRADIO.DE: Sind die Deutschlehrerinnen Muttersprachler oder kommunizieren Sie mit Ihnen zusätzlich auf Englisch?
Maletz: Sie sprechen nicht muttersprachlich Deutsch, aber sie haben beide sehr, sehr gute Deutschkenntnisse, da sie die Sprache bis zur zwölften Klasse vermitteln. Deswegen kann ich mit beiden sehr gut auf Deutsch kommunizieren. Falls es mal Probleme gibt, dann nutzen wir eine Übersetzungsapp und spätestens dann funktioniert das.
DOMRADIO.DE: Sie sind zwar erst seit September dort, aber was gefällt Ihnen bisher am Leben in Estland?
Maletz: Vor allen Dingen die Natur. Es gibt ganz viele Wälder und Seen. Das ist sehr schön, weil man sehr schnell in der Natur ist. Man hat den Fluss vor der Haustür.
Ich mag, dass das Land sehr klein ist, denn dadurch kommt man sehr viel rum. Dadurch war ich bereits im Norden des Landes, in der Hauptstadt Tallinn, und trotzdem war ich auch schon ganz im Süden unterwegs. So sieht man sehr viel vom Land.
Die Menschen sind sehr freundlich, aber ebenfalls etwas distanziert. So sind die Menschen halt im Baltikum. Aber wenn man den ersten Schritt macht, dann wird man meistens angenommen. Besonders gefällt mir, dass die Kinder so im Mittelpunkt stehen. Kinder werden nicht blöd angeguckt, wenn sie schreien, und alle kümmern sich darum. Das ist wirklich schön.
DOMRADIO.DE: Sie sind in einem katholischen Bildungszentrum tätig, aber in Estland machen Katholiken gerade einmal 0,5 Prozent der Bevölkerung aus. Wie macht sich das bemerkbar - gerade im Erleben von Kirche und Glaubensleben?
Maletz: Die Schule ist sehr klein. Mit der Grundschule sind insgesamt nur rund 450 Kinder auf der Schule und die sind noch nicht einmal alle katholisch. Die katholischen Menschen, die ich kennengelernt habe, leben eine sehr starke Gemeinschaft. Jeder kennt jeden.
Jeder kennt nun auch mich und man wird sehr herzlich aufgenommen. Jeder ist froh, wenn es neue Leute gibt, die sich für den Glauben interessieren. Man ist stolz darauf, katholisch zu sein. Aber man spürt, dass es nicht viele sind. Die Kirche ist sehr klein, es gibt nicht viel Geld. Man merkt, dass sie ihren Glauben leben, aber sie haben nicht die Kapazität dafür und man spürt, dass der Glaube im Land nicht so akzeptiert ist.
DOMRADIO.DE: Sie sind früh mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommen. Wie ist es, den Glauben in einem Land zu erfahren, in dem dieser eine geringere Rolle spielt als in Deutschland?
Maletz: Es ist sehr interessant. Man muss über sich hinauswachsen und mal offen für Neues sein. Hier gibt es zum Beispiel die Mundkommunion. Das wird ganz traditionell gemacht. Ich kannte das nicht.
Man muss damit klarkommen, was einem angeboten wird und so muss man seine eigenen Erlebnisse damit kombinieren können. Es ist eine unterschiedliche, aber insgesamt eine sehr bereichernde Erfahrung.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie, Stand jetzt, sagen: Warum ist das "Praktikum im Norden" eine gute Sache?
Maletz: Ich finde es gut, dass wir dazu gezwungen sind, über uns hinauszuwachsen. Wir können die Kirche und die Gemeinschaft hier aktiv mitgestalten. Wir können aktive Rollen übernehmen und man fühlt sich so gebraucht und angenommen. Es ist total schön, mithelfen zu können.
Wir lernen die Kultur ganz anders kennen als im Urlaub, weil wir Teile der Gemeinschaft von Estland sehen, die im Urlaub verwehrt blieben. Mir gefällt die Gemeinschaft mit den anderen, die das "Praktikum im Norden" machen. Dadurch ist man nicht einsam, obwohl man nur allein oder zu zweit an einer Einsatzstelle ist.
Ich hoffe, dass ich am Ende einen anderen Blick auf die katholische Kirche und auf das Baltikum bekomme. Stand jetzt, würde ich es auf jeden Fall wieder machen.
Das Interview führte Dagmar Peters.