Abschiedsworte von Kardinal Lehmann am Pfingstmontag

Im Wortlaut

Mit einem Zitat des Apostels Paulus hat sich Karl Kardinal Lehmann aus dem Amt des Mainzer Bischofs verabschiedet. Lehmanns Predigt und sein Schlusswort zum Nachlesen.

Kardinal Lehmann spendet den Segen / © Arne Dedert (dpa)
Kardinal Lehmann spendet den Segen / © Arne Dedert ( dpa )

Predigt des Kardinals

Verehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!

Das heutige Evangelium für den Pfingstmontag führt uns zu den Grundlagen des Christseins. So heißt die Grundbotschaft: "Gott hat die Welt geliebt". Dies ist ein neuer Ton, der uns aus dem Johannes-Evangelium entgegenkommt. Denn sonst ist "Welt" bei Johannes ja zumeist das, was von Gott abgewandt, also die gottferne und verlorene Menschheit ist, die sich dem Licht verschließt und auch die Jünger Jesu hasst (17,4). Wir dürfen dieses Wort wirklich ernstnehmen: Gerade darum ist Jesus der "Retter der Welt" (4,42). Dies ist aber nicht bloß eine wohlwollende Gesinnung Gottes, gleichsam von oben herab, sondern er geht auf das Letzte: So sehr hat er die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn "gab", uns schenkte (16). Er sendet nicht bloß sein Wort und seine Boten, sondern das Liebste und Teuerste, das er uns geben kann: nämlich "seinen einzigen Sohn" (16). Immer wieder sieht man eine Verwandtschaft zum Wort Gottes an Abraham: "Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, Isaak, den du liebst…" (Gen 22,2, vgl. auch Röm 8,20).

Gott teilt unser Leben und wird wirklich ein Mensch wie wir. Damit ist der ganze Lebensweg Jesu angesprochen, einschließlich des Leidens Jesu. Es ist ein Weg nach "unten" in die Niedrigkeit. Aber der Vater geht auf diesem Weg mit und trägt alles. Die Apostel benutzen dafür auch das reiche, vielsagende Wort, dass Gott seinen Sohn "hingab": Er schenkt ihn uns, er liefert ihn damit auch uns Menschen aus und verschont ihn nicht vor dem Schlimmsten. Gott sendet seinen Sohn nicht als Richter, der diese untreue Welt und auch uns selbst zur Rechenschaft zieht und bestraft, sondern er will die Welt durch seine Liebe, die der einzige Grund für die Sendung des Sohnes zu uns ist, retten. Das Kreuz ist auf diesem Weg der Höhepunkt, aber es steht nicht isoliert oder gar allein.

Hören wir genau hin: Es gibt nicht insgeheim oder nebenbei einen göttlichen Unheils- oder Vernichtungswillen. Ja, das Wort von Gottes Liebe zur Menschenwelt ist in dieser Zuspitzung einzigartig in der Heiligen Schrift. Wir dürfen es deshalb nicht herunterspielen. Der Evangelist verschweigt freilich auch nicht, wie wir mit dieser Liebe gerade im Blick auf Jesus umgegangen sind: die Welt erkannte ihn nicht (1,10). Diese spannungsvollen Aussagen darf man nicht zu allerlei Gedankengebäuden umbiegen, wie die Theologen fast aller Zeiten es versucht haben, z.B. durch die Einschränkung nur auf die "Erwählten". Gottes Liebe richtet sich gewiss nicht auf etwas Liebenswertes, sondern sie gilt auch der abgewandten und im Verderben befindlichen Menschenwelt. Diese Liebe ist geradezu "verrückt", kennt keine Verhältnismäßigkeit, ist Überfülle der Liebe in Person. Gott will diese Menschenwelt nicht aufgeben. Gottes Liebe ist eindeutig. Wo sich der Mensch dieser Zuwendung verschließt, zieht er sich selbst das Verderben zu. Im Grunde sind wir alle verloren. Das oft von Johannes gebrauchte Wort von einem Glauben an Gott, der allein vor dem Verderben bewahrt und rettet, bedeutet vor allem, dass wir uns nicht der Einladung Jesu entziehen. Glauben heißt Gottes Liebe annehmen und empfangen, sich auf ihn einlassen und uns seinem Wort öffnen.

Dieser Text des Johannes-Evangeliums ist ungemein reich. Wir können hier nur einige Aussagen auswählen. Dabei müssen wir uns auch fragen, wie wir mit diesem Wort von der Liebe Gottes zur Welt im Alltag unseres Lebens umgehen. Wenn wir nämlich unsere wirkliche Welt in ihrer ganzen Brutalität ansehen, können wir von uns aus eigentlich nicht glauben, dass Gott diese Welt liebt. Aber Gottes Liebe hat eine uns oft verborgene Tiefe, zu der wir gar nicht gelangen. Dennoch können wir für unseren Alltag viel daraus lernen. Wenn wir annehmen, dass Gott wirklich die Welt, also alle Menschen ohne Vorbedingungen und Ausnahmen liebt, dann können wir auch auf viele Menschen, zu denen wir kein Verhältnis haben, anders zugehen. Vielleicht können wir sie mit größerer Zuversicht betrachten, wenn wir wissen, dass sie nicht einfach hoffnungslos verloren sind, sondern trotz gegenteiliger Erfahrungen Gottes Sonne auch auf sie scheint. Dies könnte unser Verhältnis zu vielen Menschen verbessern und uns offener stimmen für einen wohlwollenden Blick auch auf sie.

Johannes zeigt uns aber noch etwas konkreter und tiefer, wie man diese Liebe Gottes zu allen annehmen und verschenken kann. So etwas wie Liebe äußert sich ja im Tun. Sie zeigt sich in der konkreten Tat des Lebens. Dazu gehört zuerst die Offenheit und Durchsichtigkeit unserer Handlungen auch für andere. Wir sind in diesem Sinne von Gott her als "Kinder des Lichtes" (12,36; Eph 5,8) geschaffen, lieben aber allein von uns aus die Finsternis: Wir wollen nicht, dass unsere "bösen Werke" aufgedeckt werden. Wir sind ein lichtscheues Gesindel, lügen, täuschen, verstecken. Der Unglaube ist in diesem Sinne eher das Normale. Gott achtet jedoch unsere Freiheit. Seine Liebe drängt sich nicht auf. Das "Gericht" ziehen wir uns selbst zu, wenn wir bewusst, für längere Zeit oder gar für immer in der Finsternis bleiben wollen. Wir lieben die Finsternis, weil unsere "Taten böse" (20) sind. Deswegen kommen wir nicht zum Licht, damit unsere Taten nicht aufgedeckt werden.

So schließt das Evangelium mit dem Vers, der sich im Verständnis von "Wahrheit" eng an die Sprache des Alten Testaments anlehnt: "Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind." (21)

Damit wir auf den Wegen Gottes gehen, müssen wir achtsam bleiben auf seine Worte und Winke. Dabei wissen wir nicht alles von vornherein. Aber Gottes Geist wird uns inspirieren, besonders wenn wir trotz allen Suchens nicht weiterwissen. "Der Beistand aber, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich auch gesagt habe." (14,26) So wird er zum Kompass unseres Gewissens und Wissens.

Verehrte Schwestern und Brüder, liebe Zuschauer am Bildschirm, in diesem Evangelium wird uns vom Evangelist Johannes die Grundbotschaft unseres Glaubens verkündet. Ähnliche vergleichbare Stücke gibt es auch beim heiligen Paulus, wie man schon an unserer heutigen Lesung erkennen konnte (Röm 8,14-17.32).

Diesen Glauben, den ich für kostbarer halte als alles andere, auch wenn wir selbst immer wieder versagen, habe ich als Priester, Theologe und als Bischof lebendig zu verkünden gesucht. Zum Pfingstfest gehört besonders diese Bereitschaft zur Sendung und zum Zeugnis in alle Welt bis in alle Winkel hinein. Dazu fordert uns auch Jesus auf mit den letzten Worten vor seinem Aufstieg zum Vater: "Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Welt." (Apg 1,8b). Amen.

Schlusswort "Steht fest im Glauben"

Als ich am 2. Oktober 1983 hier im altehrwürdigen Dom zu Mainz zum Bischof geweiht wurde, habe ich als Leitwort für meinen Dienst ein Wort des heiligen Paulus ausgewählt, das auch sonst in anderen Schriften des Neuen Testaments vorkommt: "Steht fest im Glauben!" (1 Kor 16,13). Dieser Aufruf ist zugleich Mahnung, Ermutigung und Stärkung. Das Motto musste kurz sein. Es hat am Schluss dieses ersten großen Briefes an die Korinther eine gewisse Selbständigkeit. Man kann auch deshalb dieses Wort gut herauslösen. Wie oft habe ich es in der täglichen Arbeit des Bischofs gerne benutzt!

Jetzt ist eine gute Gelegenheit, auch den Kontext dieses kleinen Wortes sichtbar zu machen. Dann versteht man den ganzen Sinn des gewählten Leitwortes noch besser. Die vier Ermahnungen und das anschließende Wort gehören offenbar eng zusammen.

Mit diesen Worten erbitte ich für Sie und alle, die Ihnen anvertraut sind, hier im Dom und wo immer Sie sind, für Leib und Seele den Segen des dreifaltigen Gottes:

"Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe." (1 Kor 16,13-14).

(Quelle: Bistum Mainz)


Mainzer Hirte verabschiedet sich / © Arne Dedert (dpa)
Mainzer Hirte verabschiedet sich / © Arne Dedert ( dpa )