KNA: Abt Benedikt, was hat sich in der Dormitio während Ihrer Amtszeit verändert?
Lindemann: Als ich 1995 kam, war ich der jüngste von damals neun Brüdern in beiden Häusern, Jerusalem und Tabgha am Genezareth. Der Begründer des Theologischen Studienjahres, Laurentius Klein, lebte noch. Heute sind wir wieder 20 Brüder, die Hälfte von ihnen ist unter 50 Jahren alt. Nach wie vor haben wir eine große Anzahl von Theologiestudierenden im Studienjahr, für das im vergangenen Jahr der "Laurentius-Klein-Lehrstuhl für Biblische und Ökumenische Theologie" eingerichtet wurde. In Tabgha haben wir mit dem Klosterbau begonnen, der hoffentlich nächstes Jahr fertiggestellt wird. Die Jugend- und Behindertenbegegnungsstätte wurde neu gebaut und das Haus Jerusalem in Hildesheim ins Leben gerufen. Insofern hat sich in der Gemeinschaft viel getan. Auch die Lage im Land hat sich verändert. Einen Tag nach meiner Weihe wurde am 4. November 1995 Jitzhak Rabin erschossen. Die Friedenseuphorie brach zunehmend zusammen. Es folgten unter anderem die zweite Intifada, der Libanon-Krieg und der Gaza-Krieg. Die Spannungen der Region mitzuerleben, fordert uns heraus. Das Beten für den Frieden, wie wir es jeden Mittag tun, empfinde ich als besonderen Auftrag Christi am Ort des Letzten Abendmahles und der Begegnung des Auferstandenen mit seinen Jüngern.
KNA: Wie nehmen Sie die aktuelle politische Lage wahr?
Lindemann: Es ist eine Spannung zwischen Depression und Aggression, gespeist aus der gleichen Ratlosigkeit und dem fehlenden Willen zu Veränderung bei nicht wenigen politisch Verantwortlichen. Ich erlebe mit Schrecken eine zunehmende Verhärtung der Gesinnungen, die auch im Alltag spürbar ist. Allerdings wird im Ausland häufig durch einseitige Medienberichterstattung ein generalisierendes Bild von diesem Land vermittelt, das so nicht stimmt. Nach wie vor treten viele Menschen für eine friedliche Lösung ein, sind zu schmerzhaften Kompromissen bereit und suchen den Dialog; aber ihre Stimmen sind leiser und mutloser geworden. Ich bin nicht optimistisch für den Friedensprozess, aber ich habe die Hoffnung auf ein Wunder nie verloren.
KNA: Und die Lage der Christen?
Lindemann: Gerade Jerusalem ist enger geworden. Ich gehe nicht mehr so unbeschwert im Habit durch die Altstadt, wie es einmal möglich war. Das bedrückt mich und erfüllt mich mit Sorge. Ich erlebe hier eine "Kirche unter dem Kreuz", wie es Alt-Patriarch Michel Sabah formuliert hat. Die Zahl der Christen nimmt ab, und obwohl es 13 verschiedene christliche Kirchen gibt, ist ihre Größe marginal, und sie werden kaum wahrgenommen.
KNA: Werden Sie als ausländische Abtei stärker wahrgenommen?
Lindemann: Wir gehören der lateinischen Kirche an. Von den anderen Kirchen werden wir als eigenständige Abtei und als ökumenisch aufgeschlossen wahrgenommen, auch als Ort, an den sowohl Palästinenser als auch Juden willkommen sind. Wir verleihen alle zwei Jahre den Mount-Zion-Award und setzen so Akzente in der Öffentlichkeit. Durch unsere "stabilitas" - wir Benediktiner vom Zion sind über 100 Jahre im Heiligen Land - sind wir eine Institution. Dass wir eine äußerlich tragende Rolle spielen, glaube ich allerdings nicht, aber diese Präsenz ist wichtig.
Um das an einem kleinen Beispiel zu verdeutlichen: Bis vor ein paar Jahren haben wir jeden Samstag ein Friedensgebet angeboten, zu dem wir jeweils um drei Uhr die Glocken geläutet haben. Als wir das Gebet am Samstag eingestellt haben, weil am Schluss immer weniger Menschen kamen, sind wir mehrmals in der Altstadt angesprochen worden, warum die Glocken nicht mehr läuten und ob wir nicht mehr für den Frieden beten. Jetzt läuten wir wieder, und die Menschen wissen, dass wir für den Frieden beten. Das ist typisch Jerusalem:
Man engagiert sich selbst nicht mit, aber von fern weiß man voneinander.
KNA: Die Abtei lag zwischen 1948 und 1967 im Niemandsland und ist heute eine Insel zwischen Altstadt, jüdischen und arabischen Vierteln...
Lindemann: Manchmal ist es gut, eine Minderheit zu sein. Wir sind eine Minderheit als Ausländer, als Deutsche mit unserer Geschichte, als Christen, als Katholiken, als Mönche. Wir sind so klein, dass wir hier in diesem Land für niemanden bedrohlich sind und insofern Gastfreundschaft nach allen Seiten üben können. Wir sind unverdächtig, weil wir keine Macht haben. Das ist ein großer Vorteil. Diese "Schwäche" ist für uns eine Chance, neutral am Frieden mitzuhelfen.
KNA: Welche Baustellen übergeben Sie ihrem Nachfolger?
Lindemann: Eine geistliche Gemeinschaft baut immer am Reich Gottes, indem sie sich um geistliche Weiterentwicklung bemüht. Die Schwierigkeit ist, dies an zwei so unterschiedlichen Orten zu tun, dem Stadtkloster in Jerusalem mit einem eher theologisch-wissenschaftlichen Engagement und der eher durch soziales Engagement geprägten Brotvermehrungskirche am See Genezareth. Beide Charakteristika der Teilgemeinschaften gehören aber unbedingt zusammen. An dieser Einheit immer weiter zu bauen, ist wichtig. Äußere Baustellen sind die Kirchenrenovierung sowie der Bau der Friedensakademie "Beit Benedikt". An diesen Aufgaben konnte ich planen, es ist aber nicht zur Verwirklichung gekommen, weil der geistliche Aufbau der Gemeinschaft Priorität hatte. Dass wir jetzt den Spannungsbogen zwischen Klausur und Weltzugewandtheit neu taxieren, zeigt sich etwa an der Übernahme des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft und der Deutschen-Seelsorge. Aber es sind nicht die äußeren Aktivitäten, die das Kloster ausmachen, sondern die innere Strahlkraft des Gebets.
KNA: Gibt es etwas, worauf Sie sich in Deutschland besonders freuen?
Lindemann: Das viele Grün!
Hintergrund: Lindemann leitete die Benediktinerabtei auf dem Zionsberg seit 1995; die Mönche der Dormitio wählen am 26. Juli einen neuen Oberen.
Das Gespräch führte Andrea Krogmann.
Abt Benedikt Lindemann beendet sein Amt in Jerusalem
Zurück ins Grüne
Nach 16 Jahren gibt Abt Benedikt Lindemann die Leitung der Jerusalemer Dormitio-Abtei ab. Mit Blick auf den Friedensprozess im Heiligen Land beklagt der aus dem westfälischen Meschede stammende Ordensmann nun "Ratlosigkeit und fehlenden Willen zu Veränderung".
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