Sie kamen mit Ketten und Seilen und schleppten sogar Möbel herbei. Damit blockierten sie im Oktober 2020 den Eingang einer Abtreibungsklinik in der US-Hauptstadt Washington. Später stürmten sie das Gebäude und schüchterten Personal und Patientinnen ein. Alles festgehalten auf einem Video, das die selbst ernannten Verteidiger des Lebens ins Netz stellten.
Vor einigen Wochen folgte das juristische Nachspiel für die radikalen Abtreibungsgegner, die sich "Progressive Anti-Abortion Uprising" nennen. Ein Gericht verurteilte die aus dem ganzen Land angereisten Aktivisten wegen Verletzung der Grundrechte anderer und Verschwörung.
Das Strafmaß von bis zu elf Jahren Gefängnis steht noch aus.
Anführerin Lauren Handy fühlte sich mit der Aktion moralisch im Recht. In ihrer Wohnung auf dem Capitol Hill hatte sie aus Protest fünf Föten konserviert. Nach ihren Angaben stammten sie von illegalen Abtreibungen, was die Behörden dementierten.
Wachsende Radikalisierung von Abtreibungsgegnern in den USA
Der Fall steht stellvertretend für eine wachsende Radikalisierung von Abtreibungsgegnern in den USA, die seit dem Grundsatzurteil des Obersten Gerichts in die Defensive geraten sind. Zu ihnen zählt auch Christopher Moscinski.
Gegen den Franziskanermönch erhob die Bundesstaatsanwaltschaft im September 2022 Anklage, weil er Vorhängeschlösser an einer Klinik der Organisation Planned Parenthood in Hempstead im Bundesstaat New York angebracht und sich selbst davor gelegt hatte, um Patientinnen den Zutritt zu verweigern.
Bundesstaatsanwälte berufen sich bei der Verfolgung dieser Form der Nötigung auf ein Gesetz aus dem Jahr 1994.
Der "Freedom of Access to Clinic Entrances Act" (FACE) ermöglicht das straf- und zivilrechtliche Vorgehen. Der Rechtswissenschaftler David S. Cohen von der Drexel University in Philadelphia meint, das Gesetz habe „extreme Taktiken“ wie früher übliche Blockaden von Kliniken eingedämmt.
Seit dem Amtsantritt Joe Bidens haben Staatsanwälte 20 Strafverfahren gegen insgesamt 46 Beschuldigte eingeleitet, berichtete die „Washington Post“ vor wenigen Tagen. Während der gesamten Trump-Präsidentschaft ermittelten die Bundesbehörden nur in neun Fällen.
Konservative Gruppen und einige republikanische Kongressabgeordnete werfen der Justiz vor, falsch zu gewichten. Während Vandalismus gegen katholische Kirchen ignoriert werde, zeige der Rechtsstaat Härte gegen Lebensschutz-Aktivisten.
Es bestehe ein Ungleichgewicht in der Verfolgung, so die Republikaner Chip Roy aus Texas und Mike Lee aus Utah. Die konservativen Kongressabgeordneten brachten im vergangenen Monat einen Gesetzentwurf ein, um das seit knapp 30 Jahren geltende "FACE"-Gesetz aufzuheben.
Die Abgeordneten bekommen Rückendeckung von der Trump-nahen Organisation "Catholic Vote". Seit der Aufhebung des Grundsatzurteils "Roe v. Wade" von 1973 - bis dahin galten Abtreibungen grundsätzlich als Privatsache - durch das Oberste Gericht im Juni 2022 habe es fast
200 Attacken auf katholische Kirchen gegeben. Auch Kirchen müssten vor Angriffen geschützt sein, lautet die Kritik an Justizminister Merrick Garland. "Wir wenden das Gesetz ohne Rücksicht auf die Ideologie an", konterte Garland.
"Wir konzentrieren uns auf die gewalttätigsten und gefährlichsten Taten, die zu einer Gefahr für Amerikaner werden könnten." Dazu zählen angedrohte Brandanschläge auf Kliniken in mehreren Bundesstaaten.
Zahl von Attacken auf Abtreibungskliniken deutlich gestiegen
Tatsächlich hat die Zahl von Attacken auf Abtreibungskliniken, ihr Personal und ihre Patientinnen nach dem Ende von "Roe vs. Wade" vor gut einem Jahr deutlich zugenommen.
Insgesamt erhöhten sich die Behinderungen vor Abtreibungskliniken von 45 im Jahr 2021 auf 287 im vergangenen Jahr, so die "National Abortion Federation" (NAF), der Berufsverband der Anbieter von Schwangerschaftsabbrüchen.
Zu den NAF-Mitgliedern gehören private und gemeinnützige Kliniken, Planned-Parenthood-Mitgliedsorganisationen, Frauengesundheitszentren, Arztpraxen und Krankenhäuser. Sie führen zusammen etwa die Hälfte aller Abtreibungen in den USA pro Jahr durch.
FACE sei heute noch so relevant wie vor drei Jahrzehnten, so Melissa Fowler, Chief Programm Officer der NAF. "Wir hoffen, dass Strafverfolgungen und Verurteilungen eine Botschaft aussenden, dass kriminelle Aktivitäten nicht toleriert werden."