DOMRADIO.DE: Die Amazonas-Abholzung in Brasilien ist seit Amtsantritt des aktuellen Präsidenten Lula da Silva um 42 Prozent zurückgegangen. Es ist auch ein kompletter Stopp in bis 2030 angedacht. Halten Sie das für realistisch und umsetzbar?
Pater Martin Maier SJ (Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Das sind gute Nachrichten. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat das auch schon als Versprechen im Wahlkampf gemacht, dass er die Politik seines Vorgängers Bolsonaro, der rücksichtslos die Abholzung in den Regenwäldern zugelassen hat, verändern wird.
Es ist absolut notwendig, hier umzusteuern. Die Regenwälder des Amazonas in Lateinamerika sind die Lunge des Planeten. Sie sind die großen Speicher von CO2. Ein Fünftel der Trinkwasser-Reserven befinden sich in Amazonien.
Zudem ist die Biodiversität ein Thema, das manchmal unterbeleuchtet ist. Die Erhaltung der Biodiversität ist auch ganz wichtig.
DOMRADIO.DE: Sie haben selbst lange Jahre in Lateinamerika gelebt und haben als Adveniat-Hauptgeschäftsführer viel mit der Region zu tun. Merkt man vor Ort im Alltag schon die konkreten Folgen der Abholzung?
Maier: Sie sehen das, wenn Sie mit dem Flugzeug über den Regenwäldern des Amazonas unterwegs sind. Die Ausbeutung, die Savannen, die entstehen, kann man erkennen. Das wirkt wie eine Wunde in diesem wunderbaren Grün der Regenwälder.
Das wirkt sich natürlich auch für die indigene Bevölkerung aus, die unter den Folgen als erstes und am schlimmsten leidet. Es betrifft die Frage der Trinkwasserversorgung. Vor kurzem ging die Nachricht um die Welt, dass die Hauptstadt von Uruguay, Montevideo, kein Trinkwasser mehr hat.
Die Folgen sind unmittelbar spürbar, auch Klimaveränderungen. Der südliche Teil Lateinamerikas ist im Moment ja im Winter. Das heißt, es müsste kühl sein. Aber Buenos Aires hat Rekordtemperaturen erlebt. All das hängt auch mit der Abholzung der Regenwälder zusammen.
DOMRADIO.DE: Was müsste sich denn konkret ändern, um eine Kehrtwende einzuleiten? Kann die Politik überhaupt was erreichen?
Maier: Es müssen politische Weichenstellungen vorgenommen werden. Das ist von dieser Konferenz in Belém zu erhoffen.
Es müssen internationale Vereinbarungen getroffen werden. Die Enzyklika "Laudato si" von Papst Franziskus im Jahr 2015 hat diese Probleme schon thematisiert und darauf hingewiesen. Die Dinge hängen zusammen. Die reichen Länder stehen hier auch in der Pflicht, mit entsprechenden Fonds ihre Verantwortung zu übernehmen. Es gibt einen Amazonien Fonds, der wesentlich von Norwegen und Deutschland finanziert wird, um Kompensationen zu leisten.
DOMRADIO.DE: Die politischen Verhältnisse in Lateinamerika sind nicht unbedingt immer stabil. Wie nachhaltig ist das denn, wenn sich die politischen Verhältnisse von heute auf morgen wieder ändern können?
Maier: Die politischen Verhältnisse in Lateinamerika sind instabil, aber trotzdem bleibt die Hoffnung, dass jetzt in Brasilien eine neue Richtung eingeschlagen wird, dass Lula da Silva Wort hält und dass er dafür sorgt, dass wir nicht in die gefährlichen Kippbereiche kommen.
Wenn 25 Prozent der Amazonas-Regenwälder abgeholzt sind, dann kippt das ganze System. Dann ist zu befürchten, dass unwiderruflich eine Versteppung einsetzt.
DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen denn die Stimmen der Kirche bei diesen Diskussionen?
Maier: Die Kirche in Lateinamerika hat immer noch eine sehr wichtige Stimme, ein großes Gewicht. Immer noch über 60 Prozent der Bevölkerung sind Katholikinnen und Katholiken.
Die Amazonien-Synode hat noch einmal ein ganz neues Bewusstsein für die Herausforderungen geschaffen, die sich stellen. Eine Folge der Amazonien-Synode war die Entstehung einer neuen kirchlichen Amazonien-Konferenz. Es gibt jetzt gerade in diesen Tagen ein wichtiges Treffen dieser Konferenz in Manaus, auch in Brasilien, gar nicht so sehr weit von Belém entfernt.
Dort finden sich Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien zusammen, um über die Konsequenzen aus der Amazonien-Synode für den Schutz der Regenwälder, für den Schutz der indigenen Bevölkerung zu beraten und Entschlüsse zu fassen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.