Adveniat: Wahlsieger Macri distanzierte sich von Kirche

Neue Ära in Argentinien

In der Heimat von Papst Franziskus stehen die Zeichen auf Veränderung. Wird Argentiniens neuer Präsident Macri die Sozialprogramme und die Wirtschaftsentwicklung in neue Bahnen leiten? Das sind laut Adveniat die Knackpunkte.

Jubelnde Argentinier nach Macris Wahlsieg / © Martin die Maggio (dpa)
Jubelnde Argentinier nach Macris Wahlsieg / © Martin die Maggio ( dpa )

domradio.de: Der Kandidat der Kirchner-Regierung Daniel Scioli trat gegen Mauricio Macri an, beide sind Millionäre mit vergleichbaren Lebensläufen - warum hat am Ende Macri das Rennen gemacht?

Thomas Wieland (Leiter der Projektabteilung bei Adveniat): Macri hat es knapp gemacht mit 51,4 Prozent der Stimmen waren etwas mehr als die Hälfte der Argentinier dafür, dass es jetzt darum geht, etwas anders zu machen. "Cambiemos", "lasst es uns anders machen" so war der Name der Koalition. Damit hat Macri überzeugt: 12 Jahre Kirchner-Regierung seien genug und jetzt gilt es, den Staat aus der Verantwortung zu nehmen in der Wirtschaft und mehr auch unternehmerisch vorzugehen, die Ideologie sein zu lassen und mehr pragmatisch, technisch an die Themen heranzugehen, das hat die Argentinier überzeugt, die meinten, Kirchner ist jetzt genug, jetzt brauchen wir einen Nicht-Peronisten.

domradio.de: Sie haben es angedeutet, Macri ist ganz klar ein Mann der Wirtschaft - manch ein Argentinier befürchtet jetzt einen Rückfall in den Neoliberalismus der 90er Jahre. Ist das eine berechtigte Befürchtung?

Wieland: Ja, unter dem Begriff Neoliberalismus muss man sich natürlich erstmal fragen, was das bedeutet, das ist ein schillernder Begriff, was jetzt wohl ansteht an Fragen ist: wie sieht es aus mit den Sozialprogrammen, die die Kirchnerregierung aufgelegt hat? Mit sozialem Wohnungsbau, mit der Unterstützung in Form von Sozialhilfe für Arme und Familien, für alleinerziehende Männer oder Frauen. Und was passiert denn mit den Großunternehmen, die in den letzten Jahren wieder verstaatlicht wurden? Wie zum Beispiel die Erdölfirma YPF, die aus den Händen der spanischen Firma Repsol wieder in staatlich-argentinische Hände zurückgeführt wurde. Das sind die zwei großen Fragen, die man mit dem Begriff Neoliberalismus verbindet.

Ich glaube, dass Macri es gar nicht so leicht fallen wird, die Sozialprogramme abzuschaffen. Zwar ist in Argentinien der Präsident eine starke Figur, allerdings muss man ihn auch sehen im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung. Da sind die sozialen Bewegungen stark und die Straße ist ein beliebtes Instrument, um Politik zu machen. Die Leute gehen auf die Straßen und manifestieren sich. Das wird ihm nicht so gut gelingen und so leicht fallen, die staatlichen Sozialprogramme abzuschaffen.

domradio.de: Wie steht vor diesem Hintergrund die katholische Kirche zu Mauricio Macri?

Wieland: In Argentinien spielt natürlich Papst Franziskus eine wichtige Rolle, denn er ist ja Argentinier und hat sich bei politischen Themen zurzeit der Kirchner-Regierung alles andere als zurückgehalten. Daniel Scioli, der Verlierer in der Wahl, hat den Papst stark in Anspruch genommen bis sogar in seine Videoclips zum Wahlkampf hinein. Er hat auch die drei "Ts" des Papstes zitiert: Es braucht Tierra,Techo und Trabajo also Land, ein Dach über den Kopf und Arbeit für die Menschen. Darauf hat sich Scioli bezogen. Bei der Frage nach Abtreibung und homosexuellen Partnerschaften hat sich Scioli sehr stark katholisch gezeigt und der Papst hat nicht widersprochen, dass er so stark in Anspruch genommen wurde. Macri hat sich eher distanziert. Zu einem Eklat kam es, dass sein Wahlkampfleiter am Schluss sagte, der Papst ist nicht ausschlaggebend für die Wahl, er bewegt gerade mal zehn Stimmen. Das heißt die katholische Kirche in Argentinien stand eher auf der Seite des jetzigen Wahlverlierers wegen dessen sozialpolitischen Äußerungen und wegen dessen Positionierungen in den moraltheologischen Fragen.

domradio.de: Der Wahlsieg eines Neoliberalen in Argentinien dürfte viele Linke in den Nachbarländern nervös werden lassen. Wie bewerten Sie das - ist das ein Sieg mit Signalwirkung für Lateinamerika?

Wieland: Das wird in anderen Ländern Lateinamerikas durchaus so gesehen, es gibt zum Beispiel auch die Gratulationen - aus Venezuela ist keine Gratulationen an Macri gekommen, obwohl Maduro es hätte tun können und die anderen Präsidenten gratuliert haben zur Wahl. Das kommt daher, dass er sich stark gegen die Politik des Präsidenten Maduro in Venezuela gestellt hat, vorallen Dingen dagegen, dass der Führer der Opposition in Venezuela, Lopez, inhaftiert ist. Das ist eine Veränderung innerhalb der linken Szene Lateinamerikas, wo sich die Präsidenten zurückgehalten haben gegenüber Venezuela. Das könnte auch die linke Szene etwas in Bewegung bringen. Scioli wurde unterstützt von den Regierungschefs Brasiliens, Boliviens und Ecuadors. Er hat nicht gewonnen. Es könnte also durchaus sein, dass sich in Lateinamerika etwas verändert.

Wichtiger allerdings als die innerlateinamerikanische Positionierung ist das, was Macri in Richtung Europa und USA gesagt hat, nämlich da sollen die Beziehungen wieder verbessert werden. Es wird ohne Entscheidungen in zwei entscheidenden Fragen nicht gehen: Nämlich die Umschuldung, die Staatsverschuldung, die die Kirchner-Regierung einfach reduziert hat und den Schuldnern nicht die von ihnen geforderten Summen zurückgezahlt hat. Das ist in den USA immer noch abhängig. Eine Verbesserung der Beziehungen zu den USA wird damit verbunden werden, dass die alten Staatsschulden gegenüber US-amerikanischen Schuldner bezahlt werden, da gibt es eine gerichtliche Auseinandersetzung. Die zweite Frage, die zu Europa eine Rolle spielt, ist die argentinische Firma YPF, die zur spanischen Firma Repsol gehörte, wurde auch verstaatlicht. Ohne konkrete Aussagen werden die Beziehungen in diesen Punkten in Europa und den USA sich wohl nicht verbessern. Deswegen ist die Frage, wie sieht es denn im gesamtlateinamerikanischen Kontext aus, wo die Unabhängigkeit der lateinamerikanischen Staaten, die Zusammenarbeit der Lateinamerikaner eine immer stärkere und wichtigere Rolle spielt angesichts dessen, dass ein Land jetzt ausschert und sich gute Beziehungen auf anderen Kontinenten sichern möchte.

Die zentrale Frage ist, wie denn Macri auf die konkret-politischen Fragen antworten wird, nämlich die Sozialprogramm, die Wirtschaftsentwicklung in Argentinien, da hat er sich nicht so stark geäußert. Nur mit dem Motto, wir wollen es anders machen, ist es ja noch nicht getan, sondern er muss konkrete Fragen beantworten und das muss man dann betrachten.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR