DOMRADIO.DE: Daniel Noboa hat sich als Hardliner inszeniert und den Ausnahmezustand verhängt, allerdings ohne viel Erfolg: In den letzten Monaten hat sich die Gewalt sogar noch verschärft. Trotzdem ist er jetzt der Wahlsieger. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Martina Fornet Ponse (Referentin für Ecuador beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Ich glaube, dass die Menschen immer noch auf die Politik der harten Hand hoffen. Noboa war nur anderthalb Jahre Präsident. Das ist nicht so lange. Er hat die Amtszeit von Lasso beendet, der 2023 Neuwahlen ausgerufen hatte. Die Menschen wollen ihm noch mehr Zeit geben. Zusätzlich hat Ecuador massive wirtschaftliche Schwierigkeiten und sie hoffen, mit einem neoliberalen Präsidenten wirtschaftlich besser auf die Füße zu kommen, als mit einer linksgerichteten Regierung. Zudem gab es starke politische Kampagnen gegen Luisa González, aufgrund ihrer Verbindung mit dem Altpräsidenten Correa, der inzwischen in Europa lebt, weil er der Korruption angeklagt ist.
DOMRADIO.DE: Es so, dass Menschenrechtler Verletzungen der Menschenrechte durch Sicherheitskräfte während dieses Ausnahmezustands beklagen. Was berichten Ihre Adveniat-Partner?
Fornet Ponse: Sie berichten nicht nur über Menschenrechtsverletzungen, also über Menschen, die ungerechtfertigt gefangen genommen, Kinder und Jugendliche, die getötet und gefoltert wurden. Die Berichte, die wir über die Caritas und über unsere indigenen Partnerinnen und Partner im Amazonasgebiet erhalten, sind wirklich schrecklich. Und da kommt zusätzlich dazu, dass die Umweltverschmutzung deutlich zunimmt. Es gibt illegalen Holzeinschlag und Bergbau, es gibt viele gebrochene Ölpipelines, die verschmutzte Flüsse und verschmutzte Lebensgrundlagen zurücklassen. Das ist für unsere Partnerinnen und Partner wirklich eine sehr schwierige Situation.
DOMRADIO.DE: Überhaupt ist die Situation, in der sich das Land befindet, gerade wirklich schwierig. Das heißt, auf Noboa kommen enorme Herausforderungen zu. Was ist das Dringlichste?
Fornet Ponse: Das kann ich gar nicht sagen, weil die Aufgaben so vielfältig und groß sind. Ecuador hat sich zu einem Hauptumschlagplatz für Kokain entwickelt, sowohl aus Kolumbien als auch aus Peru und Ecuador selber. Die Gründe dafür sind die Dollarisierung des Landes, die schwache staatliche Infrastruktur, die Drogenbanden, die sich mit der mexikanischen, kolumbianischen oder albanischen Mafia verbunden haben. Da muss sich Noboa internationale Hilfe holen, weil er als Staat gar nicht die finanziellen Ressourcen hat.
Es wird sicherlich spannend, wie er sich an die USA wenden wird, denn er hat eine sehr enge Verbindung zu Donald Trump. Aber auch, wie er mit Europa umgehen wird. Die Innenministerin Nancy Faeser war letztes Jahr im Sommer da; und alle in Antwerpen und in Hamburg wissen, was das für ein großes Thema ist. Bildung und Arbeitsmarktpolitik sind große Themen. 5,2% der Menschen leben in Ecuador in Armut, 2,4% sogar in extremer Armut. Es geht darum, den Reichtum, den das Land durchaus an Bodenschätzen und anderen Ressourcen hat, zu heben und die Menschen aus der Armut zu führen. Das geht nur über Sozialprogramme, über Integration von straffällig gewordenen Menschen, über Rehabilitation, Sanierung des Staates.
Was ich für essenziell halte, ist, dass er nicht, wie in den ersten anderthalb Jahren, am Parlament vorbei regiert. Sondern dass er es schafft, demokratisch stabile Verhältnisse herzustellen. Denn sonst gerät das Land ganz schnell in Fahrwasser, welches wir gerade in Nicaragua und El Salvador finden: mit einem neoliberalen Präsidenten diktatorische, autokratische Systeme zu schaffen, die die eigenen Bürgerinnen und Bürger irgendwann aus dem Land schmeißen und noch viel massivere Menschenrechtsverletzungen begehen, als es bisher in Ecuador der Fall ist.
DOMRADIO.DE: Wie hat sich die Kirche in diesem Wahlkampf positioniert? Welche Reaktionen auf den Ausgang der Wahl haben Sie mitbekommen?
Fornet Ponse: Reaktionen haben wir noch keine und die Kirche hat sich auch nicht für das eine oder das andere Lager positioniert. Ecuador ist sowohl was den Präsidentschaftskandidaten, die -kandidatin, als auch was das Parlament angeht sehr gespalten. Die Kirche hat gesagt, dass die Leute wählen gehen und sich informieren sollen, dass es wichtig sei, dass die Menschen ihr Wahlrecht wahrnehmen.
DOMRADIO.DE: Sie arbeiten wie überall in Lateinamerika auch in Ecuador mit lokalen Partnern. Was bedeutet der Ausgang der Wahl wohl für diese Arbeit?
Fornet Ponse: Dass es weiterhin spannend bleibt und dass wir uns als Adveniat weiterhin an die Seite der indigenen Menschen stellen und weiterhin gucken, wie es mit der Umwelt im Amazonas-Gebiet weitergeht. Dass wir uns weiterhin an die Seite von Frauen stellen, die sich gegen geschlechtsspezifische Gewalt engagieren und Graswurzelprojekte machen, damit ihr Leben in der Familie und ihrer Gemeinschaft besser wird. Dass wir weiterhin Menschen begleiten, die sowohl auf dem Weg aus Ecuador raus sind als auch das Land als Transitland zwischen Venezuela oder dem Norden, die USA, sehen. Und dass wir die Menschen weiterhin begleiteten. Wir können die große Politik nicht bewegen und nicht ändern, aber wir können in vielen kleinen Aktionen das Leben für die Menschen besser machen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.