Ägyptologe Jan Assmann mit 85 Jahren gestorben

Gesellschaften haben ein kulturelles Gedächtnis

Die Wirkung reicht über Jahrtausende. Jan Assmann hat erforscht, wie das Alte Ägypten bis heute Einfluss auf die Religionen und Vorstellungen von Zeit und Tod hat. Für die Weltreligionen hielt er unbequeme Wahrheiten bereit.

Autor/in:
Christoph Arens
Kulturwissenschaftler Jan Assmann gestorben / © Silas Stein (dpa)
Kulturwissenschaftler Jan Assmann gestorben / © Silas Stein ( dpa )

Er hat sich ein Forscherleben lang mit dem Alten Ägypten beschäftigt. Eine Jahrtausende zurückliegende Epoche, die scheinbar nur noch durch Pyramiden, Mumien und andere religiöse und künstlerische Artefakte in die heutige Zeit ragt. Jan Assmann hat das Gegenteil bewiesen und gezeigt, wie groß der Einfluss der ägyptischen Kultur und Religion auf die europäische Geistesgeschichte und die Religionen noch heute ist. Jetzt ist der Kulturwissenschaftler im Alter von 85 Jahren in Konstanz gestorben, wie der Beck Verlag am Dienstag mitteilte.

Die brutale Kehrseite der Religionen

Eine seiner zentralen Thesen war ziemlich unbequem für die großen Weltreligionen: Zwar könne Religion eine befreiende und durchaus demokratische Kraft haben, schrieb er mit Blick auf die biblische Geschichte des 

Wandmosaik in der koptisch-orthodoxen Kirche der Jungfrau Maria in Kairo am 25. August 2013. Das Mosaik zeigt die Heilige Familie, Maria und das Jesuskind auf einem Esel und Josef, auf ihrer Flucht nach Ägypten / © Dana Smillie/CNS photo/KNA (KNA)
Wandmosaik in der koptisch-orthodoxen Kirche der Jungfrau Maria in Kairo am 25. August 2013. Das Mosaik zeigt die Heilige Familie, Maria und das Jesuskind auf einem Esel und Josef, auf ihrer Flucht nach Ägypten / © Dana Smillie/CNS photo/KNA ( KNA )

aus Ägypten. Andererseits hob er das enge Verhältnis von Monotheismus und Gewalt und damit die brutale Kehrseite der jüdischen, christlichen und islamischen Tradition hervor: den absoluten Wahrheitsanspruch.

Mit der Unterscheidung in falsche Götter und den einen wahren Gott, ist nach seiner Deutung die Gewalt im Namen der Religion in die Welt gekommen, wie er unter anderem in seinem Buch "Exodus" (2015) schrieb. Eine Sichtweise, die durch den weltweit virulenten islamistischen Terror an Einfluss gewann.

Gastprofessor in Paris, Yale und Jerusalem

Jan Assmann, 1938 in Langelsheim/Harz geboren, studierte Klassische Archäologie, Gräzistik und Ägyptologie. Ab 1967 arbeitete er für das Deutsche Archäologische Institut in Kairo. Von 1976 bis 2003 übernahm er in Heidelberg den Lehrstuhl für Archäologie. Als Gastprofessor lehrte er in Paris, Yale und Jerusalem. Im Zentrum seiner Studien standen wesentliche Aspekte des alten Ägyptens - vom Zeitverständnis über die Vorstellung von Tod und Jenseits bis hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen und dem Gottesbild.

Ob es Moses oder den im Alten Testament berichteten Auszug des Volkes Israel wirklich gegeben hat? In "Exodus" macht Assmann deutlich, dass diese Frage eigentlich zweitrangig ist: Der Exodus-Mythos machte Geschichte. Und er stiftet einen neuen Begriff von Religion: Gott und sein Volk gehen einen Vertrag ein und verpflichten sich zu gegenseitiger Treue. Religion wird mit Verheißung und Zukunft aufgeladen.

Power-Couple der deutschen Geisteswissenschaften

Das Lebenswerk des Ägyptologen ist ohne die gegenseitige Inspiration mit seiner Frau Aleida nicht denkbar - das Paar galt als Power-Couple der deutschen Geisteswissenschaften. Die beiden Forscher heirateten 1968 und bekamen fünf Kinder. Auch Aleida machte Karriere als Professorin für Anglistik und allgemeine Literaturwissenschaft in Konstanz.

Aleida und Jan Assmann / © J.Schröer (DR)
Aleida und Jan Assmann / © J.Schröer ( DR )

2018 wurde das Ehepaar mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Die Friedenspreisrede in der Frankfurter Paulskirche hielten sie gemeinsam: "Wir denken sehr stark miteinander, - allerdings immer von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten aus", erklärte Aleida Assmann.

"Theorie des kulturellen Gedächtnisses"

Gemeinsam riefen sie den interdisziplinären Arbeitskreis "Archäologie der literarischen Kommunikation" ins Leben. Hand in Hand entwickelten sie die "Theorie des kulturellen Gedächtnisses". Dabei gehen die Assmanns davon aus, dass es nicht nur das individuelle Gedächtnis von einzelnen Menschen gibt. Es gebe auch das kollektive Gedächtnis von Gesellschaften und Nationen - geprägt durch überlieferte Texte und Erzählungen, geronnene Erfahrungen über Hunderte und Tausende von Jahren.

Solche Erzählungen sind nach Auffassung der Kulturwissenschaftler zentral für das Selbstverständnis heutiger Gesellschaften. "Weil sie uns helfen, besser zu verstehen, wer wir sind - und wer wir, als Gesellschaft, sein könnten. Im Positiven wie im Negativen", umschrieb das Ehepaar seine Theorie.

Aleida (l.) und Jan Assmann / © Corinna Assmann (dpa)
Aleida (l.) und Jan Assmann / © Corinna Assmann ( dpa )

Das habe auch Auswirkungen auf die aktuelle Politik: Demokratie lebe zwar vom Austausch unterschiedlicher Argumente, brauche aber auch einen gemeinsamen Boden. Es stimme zwar, so sagten sie 2018 in der Paulskirche, dass "Demokratien durch Streit und Debatten gestärkt werden", aber nur auf der Grundlage unstrittiger, geteilter Überzeugungen von der Verfassung bis zu den Menschenrechten, die nicht zur Disposition stehen dürften. Dauerhaftes Misstrauen vergifte eine Gesellschaft. "Es ist absolut fundamental, dass wir einander vertrauen können. Der Wert der Wahrheit ist heute wichtiger denn je."

 

Quelle:
KNA