domradio: Sie waren selbst als Arzt in Sierra Leone. Wenn wir von Folgen dieser Ebola-Epidemie sprechen, woran denken Sie dann?
Dr. Tankred Stöbe: Wir denken an einen ganzen bunten Strauß an nötigen Maßnahmen. Die Ebola-Epidemie ist noch nicht zu Ende. Vor allem in Guinea sinken die Zahlen immer noch nicht. Das heißt, es muss weiterhin all das passieren, was in der Vergangenheit schon wichtig war: Die Patienten müssen schnell einer Behandlung zugeführt werden, sie müssen aufgeklärt werden und die Kontaktpersonen müssen aufgespürt werden. Zugleich gilt es, auch die darniederliegenden Gesundheitssysteme wieder zu rehabilitieren. Über 800 Gesundheitsmitarbeiter in den drei Ländern sind ja selbst von Ebola infiziert worden. Etwa 500 sind daran gestorben. Wir müssen den Menschen eine Perspektive geben. Aber auch die Überlebenden von Ebola brauchen Unterstützung. Wir haben sogenannte "Überlebenskliniken" in den Ländern eingerichtet. Und dann ist es auch ganz wichtig, dass die Forschung nach Medikamenten und Impfstoffen weitergeht. Wir wissen ja, dass Ebola eine der großen vernachlässigten Krankheiten ist, und die Forschung für diese Erkrankung muss dringend weitergehen, auch über Ebola hinaus. Da ist die Weltgemeinschaft aufgerufen, endlich den armen Menschen die Medikamente zur Verfügung zu stellen, die sie zum Überleben brauchen.
domradio: Ein Appell in Richtung Zukunft. Ist das eine Kritik an dem Verhalten der internationalen Gemeinschaft in der Vergangenheit?
Dr. Tankred Stöbe: Wir haben ja sehr früh für mehr Unterstützung geworben im letzten Jahr. Es ist noch deutlicher geworden, als im September immer noch nichts passierte. Jetzt ist es Zeit, kritisch zu schauen, was im letzten Jahr passiert ist, was auch überall versäumt worden ist. Das machen wir heute in Berlin in der Frühjahrskonferenz von "Ärzte ohne Grenzen". Wir gucken auch selber sehr kritisch auf unsere eigenen Versäumnisse. Auch wir hätten noch Vieles besser und umfangreicher leisten wollen. Auch wir wollen für die Zukunft viel lernen. Natürlich gilt das auch für die Weltgesundheitsorganisation, die sich sehr selbstkritisch geäußert hat. Alle Institutionen, die sich für Ebola eingebracht haben und auch die, die es nicht gemacht haben, obwohl sie gekonnt hätten, müssen trotz des Weiterverlaufs von Ebola jetzt schon gucken, was man für eine nächste Epidemie besser machen kann.
domradio: Welche konkreten Punkte liegen Ihnen denn aus der Erfahrung dieser Epidemie in Westafrika besonders am Herzen?
Dr. Tankred Stöbe: Es fängt damit an, dass eine Epidemie schneller erkannt werden muss. Wir hatten bereits im Juni vergangenen Jahres gesagt, Ebola sei außer Kontrolle. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat auch lange gebraucht, bis sie zu einer ähnlichen Einschätzung kam. Die Frühwarnung ist wichtig. Aber wenn eine Epidemie von diesem Ausmaß geschieht, dann muss sehr schnell auch Hilfe mobilisiert werden. Das heißt, Spezialisten müssen entsandt werden, das epidemiologische Überwachungssystem muss installiert werden, so dass die Erkrankten sehr schnell Hilfe bekommen können. Vor allem, wenn eine so arme Region wie Westafrika betroffen ist, wo die nationalen Kapazitäten sehr schnell erschöpft waren und klar war, es muss die internationale Hilfe dazu kommen. Da gab es eine ganze Reihe von notwendigen Hilfsmaßnahmen, die zu spät und unflexibel kamen.
domradio: Guinea ist vor allen Dingen das Land, auf das sich die Blicke wegen Ebola noch richten. Wir haben in den Medien Bilder von Ärzten transportiert, die helfen wollten aber vielerorts nicht helfen konnten - zumindest im ersten Anlauf nicht - weil man vor den dick eingepackten Menschen Angst hatte, die auf einen zukommen und eigentlich nur das Beste wollen. Wie hat sich diese Situation mittlerweile entwickelt?
Dr. Tankred Stöbe: Natürlich war es gerade in Guinea so, dass für die Menschen, die vor Ort leben, Ebola fremd und neu war. Und auch diese komischen, in Schutzanzüge gehüllten Helfer, waren neu. Deshalb gab es die Verknüpfung, dass die Helfer nicht zum Helfen kommen, sondern das Ebola-Virus verteilen. Leider gibt es diese Verdächtigungen auch immer noch. Diese sind allerdings mit der Aufklärung weniger geworden. Aber, und das habe ich selber in Freetown in der Mitarbeit erlebt, man kann auch in diesen sonderbaren Anzügen eine menschliche Beziehung zu den Kranken aufnehmen, man kann sich unterhalten, ein bisschen den Nacken massieren. In den kurzen Zeiten, die wir in den hochinfektiösen Behandlungseinheiten hatten, war es möglich, auch so eine Verbindung herzustellen. Das war sehr wichtig, weil diese Menschen Todesangst hatten. Ebenso wichtig war es, dass neben der medizinischen auch die seelische Unterstützung zu leisten, die in diesen Extremfällen so nötig ist.
domradio: Deutschland und Ebola. Ist das ein Thema, das es gar nicht gibt oder muss man so lange auf der Hut sein, bis Sie auch Entwarnung geben, was die Ebola-Epidemie in Westafrika angeht?
Dr. Tankred Stöbe: Ebola und Deutschland gibt es nicht. Das gibt es nur, indem Deutschland Ebola-Behandlungsfälle aufnimmt. Das ist jetzt nicht mehr nötig. Die Kapazitäten sind vor Ort gegeben. Das höchste Risiko läge vielleicht noch bei rückkehrenden Helfern aus dem Gebiet. Aber die sind natürlich sehr gut geschult und aufgeklärt. Also da geht eigentlich auch keine Gefahr von aus. Ich glaube, die ganze Konzentration muss weiterhin dahin gehen, dass wir mithelfen, Westafrika Ebola-frei zu bekommen. Da sind 48 Tage nötig, dass keine neue Infektion in einer Region auftritt. Und dann gilt es, eben auch alle Zukunftsherausforderungen anzunehmen, also Wirkstoffe, Impfstoffe zu erforschen - auch für andere Erkrankungen, die vernachlässigt sind. Es muss Druck auf die Pharmaindustrie ausgeübt werden, dass sie endlich nicht nur ihre eigenen Statistiken anschaut, sondern auch das Wohl der Menschheit. Also, da gibt es viel zu tun. Und das wollen wir heute mit Vertretern diskutieren. Wir sind sehr gespannt, was wir auch selber von den anderen lernen können, die heute in Berlin zusammen kommen.
Das Interview führte Daniel Hauser.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu Eigen.