In Ahrweiler feiern sie Gottesdienste auf Baustellen

"Hier ist die Weihnachtsbotschaft so greifbar"

Im Ahrtal konnten die ersten Kirchen nach der Flut geöffnet werden. Die Gottesdienste fühlten sich für Pfarrer Heiko Marqardsen wie ein Aufatmen an. Aber auch die Messen zu Weihnachten werden noch zum Teil auf Baustellen gefeiert.

 © Harald Oppitz (KNA)
© Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben die Flut, die Aufräumarbeiten und alles drumrum miterlebt. Ihre Gemeinde haben Sie durch diese Zeit begleitet. Wie geht es den Menschen jetzt, anderthalb Jahre nach diesem schrecklichen Ereignis?

 © Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler
© Pfarrei Bad Neuenahr-Ahrweiler

Pfarrer Heiko Marquardsen (Gemeinde Bad Neuenahr-Ahrweiler): Das Thema ist immer noch sehr aktuell, sonst würden wir ja nicht miteinander sprechen. Das begleitet uns auch noch ein gutes Stück, weil man die Spuren der Flut immer noch an vielen Orten sieht und sie immer noch spürbar ist.

Es gibt Orte, da geht es aufwärts, da ist ein Stück  Normalität greifbar, aber es ist nicht so wie vor der Flut. Da sind wir noch ein gutes Stück weg von.

DOMRADIO.DE: Fühlen die Menschen sich vergessen?

Marquardsen: Das ist immer eine Frage, auf welchen Stadtteil und welchen Ort man schaut, in welches Haus man blickt. Das ist sehr facettenreich. Aber der Grundtenor herrscht, dass wir noch mal in den Blick genommen werden müssen, dass man die Not der Menschen hier nochmal sehen muss.

Pauschal zu sagen, dass sich alle vergessen fühlen, halte ich für schwierig. Dafür ist es einfach zu unterschiedlich. Zufrieden sind die Menschen allerdings nicht.

Heiko Marquardsen, Pfarrer in der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler

"Es war schön zu sehen, dass es mitten in dieser Ruine ein Stück Weihnachten geben kann"

DOMRADIO.DE: An Weihnachten kann in zwei Kirchen zum Ersten Mal seit der Flut wieder der Weihnachtsgottesdienst stattfinden. Was bedeutet das den Gemeindemitgliedern?

Marquardsen: Ich habe das in Bad-Neuenahr in der Rosenkranzkirche selbst miterlebt, als wir am ersten Advent dort einen der ersten Gottesdienste nach der Flut gefeiert haben. Das war ein Aufatmen, weil ein Stück Heimat zurückgekämpft wurde.

Die Gottesdienste sind aber immer noch fernab von normalen Weihnachtsgottesdienst. Die Kirchen sind in Teilen noch Baustellen und da wird sich im Laufe der nächsten Jahre noch viel verändern und tun.

Ich habe gestern mit Ehrenamtlichen eine Krippe in die Kirche gestellt und das war einfach super. Es war schön zu sehen, dass es mitten in dieser Ruine ein Stück Weihnachten geben kann. Hier finde ich die Weihnachtsbotschaft so greifbar. Dass Gott eben nicht in eine perfekte Welt kommt, sondern in eine Welt, die Hilfe und Unterstützung braucht. Ich glaube, das wird in diesen beiden Gotteshäusern sehr sichtbar.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn aus bei den Gemeinden? Sind Ihnen viele Gemeindemitglieder abhanden gekommen? Haben die sich enttäuscht von Gott abgewandt? Oder ist es eher eine "Jetzt erst recht"-Mentalität?

Marquardsen: Die Frage nach Abwendung und Gottesdienstbesuch ist sehr vielschichtig. Das kann man nicht auf die Schnelle klären. Ich erlebe schon, dass der Gottesdienstbesuch nachgelassen hat, aber das ist kein spezielles Phänomen bei uns, sondern das ist ein Phänomen der Gesamtkirche, was auch sehr eng mit Corona zusammenhängt und momentan auch der Situation mit der Ukrainekrise geschuldet ist, die uns abverlangt, dass wir Energie sparen und nicht heizen, sodass wir in sehr kalten Kirchen Gottesdienst feiern müssen.

Das ist für Menschen nichts Angenehmes und da kommen wahrscheinlich eher die hartgesottenen Katholiken noch zusammen. Das ist ein Teil der Problematik, die aber nicht nur für uns gilt, sondern für viele Pfarreien in Deutschland.

Heiko Marquardsen, Pfarrer in der Pfarreiengemeinschaft Bad Neuenahr-Ahrweiler

"Hier finde ich die Weihnachtsbotschaft so greifbar. Dass Gott eben nicht in eine perfekte Welt kommt, sondern in eine Welt, die Hilfe und Unterstützung braucht"

DOMRADIO.DE: In diesem Jahr gibt es bei Ihnen eine besondere Aktion in Ahrweiler. "Weihnachten anders" ist das Stichwort. Was steckt dahinter?

Marquardsen: "Weihnachten anders" gibt es in diesem Jahr nicht zum Ersten Mal. Das gibt es schon länger. Das ist ein Angebot für Menschen, die mit den traditionellen Weihnachtsgottesdiensten nichts anfangen können, weil es sie nicht berührt und nicht ihren Lebensalltag widerspiegelt, sich in den normalen katholischen Gottesdienst an Weihnachten zu begeben.

Das ist ein Angebot für Menschen, die gerne einen etwas anderen und offenen Gottesdienst hätten. Der findet an verschiedenen Orten draußen statt. Der Gedanke dahinter ist, dass Gott in die Welt kommt, dass er in unserer Stadt sichtbar und greifbar ist.

Der Gottesdienst war schon mal in einem Stadion oder in einem Parkhaus. Dieses Jahr wird er unter einer Brücke sein. So hoffen wir, neben den klassischen Kirchgängern auch die Menschen anzusprechen, die der Kirche eher fern stehen.

Wir feiern dann keine Messe, sondern einen Wortgottesdienst. Das trägt auch dazu bei, den Bedürfnissen der Menschen heute gerecht zu werden. Ich erlebe das als ein sehr fruchtbares und sehr schönes Angebot, was ein Stück Tradition geworden ist.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Die Flutkatastrophe im Juli 2021 und ihre Nachwehen

Bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Westen Deutschlands kommen allein in Rheinland-Pfalz mindestens 136 Menschen ums Leben.  In Nordrhein-Westfalen sterben bei Hochwasser nach extremem Starkregen 49 Menschen; mit 180 Städten und Gemeinden ist fast die Hälfte der Kommunen betroffen. Eine Chronologie der Ereignisse:

11.7.: Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt am Vormittag vor extremem Starkregen mit bis zu 200 Litern Regen pro Quadratmeter innerhalb von 60 Stunden. Eine genaue Vorhersage, wo die riesigen Mengen niedergehen werden, ist nicht möglich.

Nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen / © Marius Becker/dpa (dpa)
Nach der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen / © Marius Becker/dpa ( dpa )
Quelle:
DR